Nürtinger Zeitung

Corona-Impfung bei den Hausärzten im Kreis Esslingen

Corona-Impfung bei den Hausärzten im Kreis Esslingen

10.04.2021 05:30, VON PHILIP SANDROCK —

Seit dieser Woche impfen auch die Hausärzte gegen das Coronavirus – Wenige Impfdosen zum Start

Seit Mittwoch können die Hausärzte endlich loslegen: die ersten Dosen des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer wurden an die Praxen geliefert. Auch im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung impfen die Mediziner seit einigen Tagen – und sehen sich als wichtigen Baustein in einer schnelleren und besseren Impfkampagne gegen die Covid-19-Pandemie.

Bisher galt die Regel: Wer impfberechtigt ist, konnte sich einen Termin in einem der Impfzentren im Land holen. Das setzte aber viel Geduld oder Glück voraus. Denn das Terminbuchungsverfahren dafür ist für viele Menschen schwer verständlich und nervenaufreibend, weil man trotz vieler Klicks oder zahlreichen Anrufen schwer an Termine kam.

Doch langsam kommt Bewegung in die Impfkampagne. Die Menge an verfügbarem Impfstoff steigt. Überall im Kreis machen sogenannte „Pop-up“-Impfzentren auf, in denen die mobilen Impfteams wohnortnah Termine anbieten. Überdies haben seit Mittwoch die Hausärzte ihre ersten Lieferungen mit dem begehrten Impfstoff bekommen.

„Wir haben am Mittwoch 18 Dosen Biontech-Impfstoff bekommen“, sagt die Neuffener Hausärztin Dr. Manuela Auer-Rebmann. Sechs davon habe sie gleich am Vormittag verimpft – auf ihrer Hausbesuchs-Runde. Nach einem Zwischenstopp in der Praxis habe sie drei weitere Impfdosen mitgenommen. Die restlichen Impfungen seien dann für Donnerstag eingeplant worden. Außerdem habe sie die nächste Lieferung für die Folgewoche schon bestellt. Dann bekommt ihre Praxis 24 Dosen geliefert – wieder von Biontech.

Impfstoff hält sich tagelang im Kühlschrank

Die Handhabung des Impfstoffs sei kein Problem. Nach der Lieferung durch die Apotheke seien die Impfstofffläschchen gekühlt 120 Stunden haltbar – das sind fünf Tage. Erst wenn das Vakzin in der Praxis für die Injektion vorbereitet und auf Spritzen aufgezogen wird tickt die Uhr – dann bleiben den Ärztinnen und Ärzten noch sechs Stunden für eine Impfung, bevor der wertvolle Stoff verdirbt.

Wichtig sei es jetzt, dass die Hausärzte zuerst die erreichen die sonst kaum eine Chance auf eine Impfung hätten, sagt Auer-Rebmann. Die Patienten in den Alten- und Pflegeheimen seien inzwischen alle geimpft. Sie waren die ersten die um den Jahreswechsel an der Reihe waren. Viele aus der Gruppe mit der ersten Priorität seien ebenfalls bereits geimpft.

Aber es gebe noch etliche Menschen, die nicht in einem Heim leben, aber dennoch nicht mobil genug seien, um in ein Impfzentrum zu gehen, nicht einmal wenn es, wie derzeit, im Nachbarort Beuren aufgebaut ist.

„Wir haben uns vorher schon überlegt, wer für eine Impfung in Frage kommt. Wir haben unsere Patienten aber auch darum gebeten uns mitzuteilen, wenn sie bereits einen Impftermin bekommen haben“, sagt die Ärztin. Das System funktioniere bisher gut. Viele der Patienten auf ihrer Prioritäten-Liste hätten schon einen Impftermin bekommen.

Dr. Martin Kohler freut sich, dass die Hausärzte jetzt mitimpfen dürfen. Seine Praxis in Nürtingen ist eine der Corona-Schwerpunktpraxen im Landkreis. „Deshalb ist es konsequent, jetzt auch das Impfen in die Praxen zu verlagern“, sagt Kohler. Niemand kenne seine Patienten besser als der Hausarzt. Allerdings sei die Vorbereitung für die Impfung in der Praxis mit einem erheblichen Aufwand verbunden.

Kohler schätzt, dass etwa die Hälfte der Patienten einer der priorisierten Gruppen angehören – entweder aufgrund des Alters oder wegen der Vorerkrankungen. Auch er hatte schon im Vorfeld geschaut, wer von seinen Patienten für eine Impfung in Frage kommt. „Wir mussten zunächst abklären wer davon schon geimpft wurde“, sagt Kohler. Wer dann einen Impftermin in der Praxis bekommt, hänge auch davon ab, welcher Impfstoff geliefert wird. Diese Woche und in der kommenden Woche wurde den Praxen das Präparat von Biontech zugesagt, die Woche darauf könnte es der von Astrazeneca sein. Der ist in Deutschland aber nur für ältere Patienten zugelassen. „Dann müssen wir schauen, dass alle Impflinge älter als 60 Jahre sind“, so der Arzt. Im Zweifel müsste man dann Terminpläne noch mal umschreiben.

Außerdem plädiert Kohler dafür, dass auch die Praxis-Mitarbeiter immunisiert werden. Sie hätten lange Zeit nicht zu den priorisierten Gruppen gehört. „Wir haben seit einem Jahr mit Covid-19-Patienten zu tun“, sagt Kohler. Da sei es auch eine Frage des Arbeitsschutzes, dass die Praxismitarbeiter vor dem Virus geschützt werden. Deshalb sei das auch Teil seiner Impfplanung.

Weil für die Corona-Impfungen viel Zeit eingeplant werden muss, planen die Praxen eigene Impf-Sprechstunden oder haben gar ihre Räume vorübergehend erweitert: Der Wendlinger Arzt Dr. Marco Wenzel hat kurzerhand ein Zelt vor seiner Praxis aufgestellt, um mehr Warteraum zu schaffen. Etwa 30 Minuten seien für die komplette Impf-Prozedur erforderlich, sagt Wenzel. So lange dauern das Patientengespräch, die eigentliche Impfung und die 15-minütige Beobachtungszeit danach. Wenzel hat seit Start der Impfungen Anfang des Jahres schon viel Erfahrungen mit den Covid-19-Impfstoffen gesammelt. Außerhalb seiner Sprechzeiten arbeitet er im Esslinger Kreisimpfzentrum und auch im mobilen Impfzentrum in Wendlingen ist er federführend mit von der Partie.

Der große Unterschied zwischen den Impfzentren und der Hausarztpraxis sei die räumliche Trennung von Wartenden und Geimpften, sagt Wenzel. Die Impfzentren hätten genügend Platz für getrennte Wartezonen und Beobachtungsbereiche nach der Impfung. Hausarztpraxen müssten dafür ihren kompletten Betrieb umstellen.

Dafür sieht der Internist die Hausärzte an anderer Stelle im Vorteil: „Im Impfzentrum bin ich 15 Minuten mit der Patientenaufnahme und Anamnese beschäftigt“. Alle Patienten dort seien zunächst fremd und müssten den Arzt im Vorgespräch über Erkrankungen und Risikofaktoren oder Allergien informieren. „In der Praxis kennen wir alle Patienten und ihre Krankengeschichte“, sagt Wenzel. Auch fühlten sich die Patienten beim Arzt oder der Ärztin ihres Vertrauens sicherer als in einem großen, anonymen Impfzentrum.

Wenzel ist überzeugt, dass Hausärzte das Impfen entscheidend beschleunigen können. „Es gibt 50 000 Hausärzte in Deutschland, wenn jeder 20 Patienten pro Tag impfte, wären das 1 000 000 Corona-Impfungen pro Tag. Dann wären wir in 80 Tagen durch“, sagt der Arzt. Ein verlockender Gedanke, dem auch der Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Michael Hennrich viel abgewinnen kann. Leider gibt es dafür noch nicht genug Impfstoff. „Die Impfstoffe sind zurzeit noch kontingentiert auf 20 Impfdosen pro Arzt“, sagt Hennrich. Für Gemeinschaftspraxen mit mehreren Ärzten gebe es entsprechend mehr. Doch der CDU-Gesundheitspolitiker rechnet damit, dass bis zum Ende des Monats deutlich mehr Impfstoff verfügbar sei. „Dann werden die Hausärzte zur wichtigen zweiten Säule in der Impfkampagne“, betont er.

Mehr Flexibilität bei der Terminvergabe

Die Mediziner seien zwar aufgefordert, Termine nach den Vorgaben der Impfpriorisierung zu vergeben. Allerdings würde den Ärzten eine flexiblere Handhabung ermöglicht. So könne man besser auf die Gegebenheiten vor Ort eingehen, aber auch auf die zugeteilten Impfstoffe. Denn die Ärzte wissen erst einige Tage im Voraus welches Vakzin geliefert wird. Das sei auch dem Hauptproblem der Corona-Impfkampagne geschuldet: dem knappen Impfstoff und der Pandemie-Bürokratie. Bestellt hat den Stoff die EU, verteilt wird er in Deutschland durch den Bund, aber für die Umsetzung der Impfungen vor Ort sind die Länder zuständig. Und alle zusammen müssen in den nächsten Wochen noch den Mangel verwalten.

Im Laufe des Aprils rechnet Hennrich mit einer steigenden Menge der von Biontech und Astrazeneca – bis zu drei Millionen Impfdosen pro Woche seien hier zugesichert. Außerdem wird dann noch der Impfstoff von Johnson & Johnson hinzukommen. Hennrich sieht nicht nur organisatorische Fehler; man habe einfach auch Pech bei der Impfstoffbestellung: „Wir haben bei den Impfstoffen im Sommer 2020 auf das falsche Pferd gesetzt“, sagt er, denn Firmen wie Sanofi oder Curevac, bei denen große Mengen geordert worden seien, hätten noch keine Zulassung oder seien wie Sanofi ganz aus der Corona-Impfstoffentwicklung ausgestiegen. Von den anderen Impfstoffen hätte man deshalb zu wenig bestellt.

Auch der Ärger um Astrazeneca hätte die Lage verschlechtert: Zum einen habe das britisch-schwedische Unternehmen die Liefermenge mehr als halbiert, dann sei die Debatte um die Sicherheit des Impfstoffs entbrannt. Es sei jedoch richtig gewesen, einen europäischen Weg zu wählen und keine nationalen Alleingänge wie die USA oder die Briten.

Die Hausärzte sind über die Impfstoffmengen zum Start gar nicht so unglücklich: „So wenig ist es eigentlich gar nicht“, sagt Manuela Auer-Rebmann. Allein die drei impfenden Hausarztpraxen in Neuffen würden so 54 Menschen pro Woche impfen. Und mit den anderen Hausarztpraxen im Land komme da einiges an Impfungen zusammen.

Und das sei auch nicht unbedingt im Sinne der Patienten, die Hausarztpraxen und ihr Personal jetzt komplett für Corona-Impfungen zu belegen und damit auszulasten. „Es gibt schließlich auch noch andere Krankheiten als Covid-19.“