Nürtinger Zeitung

Wenig Neues, aber viele offene Fragen

Wenig Neues, aber viele offene Fragen

22.02.2021 05:30, VON NICOLE MOHN —

Virtueller Stammtisch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: Erklärungsversuche, aber keine Perspektiven

Der Frust vieler Geschäftsleute und kleinerer Unternehmer sitzt tief. Vor allem Händlern, Gastronomen, Dienstleistern und Hoteliers droht nach dem Lockdown die Luft auszugehen. Bei einem virtuellen Stammtisch des Bundes der Selbstständigen (BDS) mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erhofften sich viele Teilnehmer Antworten, wie es weitergehen kann.

KIRCHHEIM/NÜRTINGEN. Groß ist das Interesse an der Videokonferenz am Sonntagvormittag, die der Kreisverband des BDS zusammen mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich organisiert hat. Um die 120 Zuhörer sind es, die sich zum virtuellen Stammtisch mit dem CDU-Minister an die Bildschirme setzen. Und sie wollen endlich Antworten aus Berlin. Hennrich schickt die drängendsten voran: Warum dauert es so lange, bis die Hilfen ausgezahlt werden? Und wie sieht die Perspektive aus, wie und wann geht es weiter? Fragen, die auch der Doppelspitze des BDS-Landesverbandes, Bettina Schmauder und Jan Dietz (beide Kirchheimer), auf den Nägeln brennt. „Viele meiner Kunden kämpfen ums Überleben, kämpfen mit der Aussichtslosigkeit der Lage“, sagt Dietz, der Unternehmensberater ist. Etlichen Mitgliedern gehe langsam die Zeit aus: „Wir müssen endlich in die Pötte kommen, sonst überleben wir das nicht“, wirft er in bester Stammtisch-Tradition markige Worte in die Runde. Er reibt sich an der Tatsache, dass Unternehmen wie TUI unter den staatlichen Rettungsschirm kommen. „Die Klientel, über die wir hier sprechen, stirbt halt nicht so öffentlichkeitswirksam“, mutmaßt er.

Warum kommt das Geld nicht von den Finanzämtern?

Konkret macht sich die Kritik an der Krisenstrategie der Bundesregierung immer wieder an den nur schleppend in Gang kommenden Auszahlungen der Hilfen für die Unternehmen fest – auch in der Sonntagsrunde mit Altmaier. Dietz kann über den Entschluss, dies über die wenig schlagkräftige Bundeskasse laufen zu lassen, nur den Kopf schütteln. „Warum machen das nicht die Finanzämter?“, fragt auch Hennrich in die Runde.

Altmaier beschwichtigt, erklärt mitunter wortreich, gesteht Anlaufprobleme ein. Dennoch seien schließlich über 80 Milliarden Euro Hilfen bereits geflossen, das meiste davon an kleine und mittlere Unternehmen. Und man bemühe sich da, wo es klemme, nachzubessern, verteidigt sich der Wirtschaftsminister. So habe man beispielsweise die Abschlagszahlungen erhöht. Mit der Neustarthilfe gebe es erstmals Unterstützung für Soloselbstständige. Schließlich geht er in die Offensive: „Ich gebe die Geschichte bereitwillig ab, wenn einer sagt, er kann es schneller und besser.“

Hilfe ja, so schnell und so gut wie möglich, das ist Altmaiers Signal in die virtuelle Runde. Aber ebenso der Appell, dass es dabei nach Recht und Gesetz gehen muss. „Wir sind schließlich dem Steuerzahler verpflichtet“, sagt er. Nach den schnellen Hilfen im Frühjahr habe es Berichte über Missbrauch gegeben, erinnert er. So etwas wolle man nicht noch einmal. An diesem Punkt sei auch seine Forderung nach einer Abschreibungsmöglichkeit für verderbliche und unverkäufliche Waren nach dem zweiten Lockdown im Dezember gescheitert: „Vom Finanzministerium hieß es dazu: Nein, es ist zu betrugsanfällig.“ Niemand wisse, was mit den Waren passiert und dies sei auch nicht zu kontrollieren, erklärt der Minister.

Auch er wünscht sich, dass die Hilfen schneller ankommen und manches unbürokratischer laufen könnte. Vielleicht bringe die Pandemie da wie auch bei der Digitalisierung einen Extra-Schub, hofft er. Oftmals stehe einer einfacheren Regelung aber auch schlicht das Gesetz im Weg: So scheiterte die Abwicklung der Hilfen über die Finanzämter daran, dass diese die Umsatzdaten nicht weitergeben dürfen, so der Minister.

Letztlich sei die Bearbeitung der Anträge auch ein personelles Problem: Jeder einzelne müsse von einem Beamten in Fleisch und Blut überprüft und bewilligt werden, bittet Altmaier um Verständnis. Es stünden dafür aber nun mal „keine Heere von Beamten dafür zur Verfügung“, ließen sich Mitarbeiter auch nicht innerhalb von vier Wochen dafür qualifizieren. „Wir wollen nicht gefördert werden, wir wollen Entschädigung“, pocht Dirk Iserlohe von den Dorint Hotels darauf, dass die Vorgaben der Europäischen Union angewendet werden. Auch viele Detailfragen sind derzeit noch ungeklärt, unter anderem wie mit den übervollen Textillagern der Modehändler umgegangen werden soll.

Für Dietz sind all das Indizien dafür, dass Deutschland „massiv überregelt ist“. Für den BDS-Landesvorsitzenden ist die Hilfe ohnehin „ein Umsatz zweiter Klasse“. So sieht es auch Holger Schopf: „Keiner will von Hilfen leben, sondern viel lieber sein Unternehmen wieder öffnen.“

Vor allem erhofften sich die Teilnehmer deshalb von Altmaier klare Aussagen dazu, wann und wie es für den Einzelhandel und andere betroffene Branchen weitergehen kann. „Wir möchten wieder Umsatz machen“, fasst es Dietz zusammen. Der Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz, den Friseuren ab 1. März die Öffnung zu gestatten, schüre nicht nur Unverständnis, sondern bisweilen Hass.

„Es treibt uns alle um“, hat Altmaier für den Wunsch nach Normalität Verständnis. Er verteidigt die Öffnung der Friseure: Die habe auch Gründe in der Hygiene und Körperpflege, dies sei insbesondere für ältere Menschen wichtig, so Altmaier. Und weiter: Mit der Winterjacke vom letzten Jahr könne man auch nächstes Jahr noch rumlaufen, mit der Frisur vom letzten Herbst aber nicht.

Ob es bei der angedachten Öffnungsstrategie bleibe, werde zu entscheiden sein. Er stehe derzeit in Kontakt mit allen großen Verbänden und habe ihre Öffnungskonzepte auf dem Schreibtisch. Diese werde er zusammenfassen und als Orientierungshilfe für die Ministerpräsidenten-Konferenz und die Bundeskanzlerin weiterreichen.

Die Zunahme der Infektionen bereitet Altmaier Sorge

Konkreter wird Altmaier nicht. Zu groß ist das Diktat der medizinischen Lage. Hauptproblem sei schließlich nicht der Modehändler oder der Friseur: „Das Problem ist: Je mehr soziale Kontakte es gibt, je mehr Mobilität, desto mehr Infektionen haben wir“, so Altmaier. Mit Sorge beobachtet er, dass die Inzidenzen aktuell wieder steigen und der Rückgang der Neuerkrankungen gestoppt ist. „Wir haben derzeit 16 Prozent Zuwachs im Vergleich zur Vorwoche. Ich hoffe inständig, das ist nur ein Ausreißer“, so der Minister.

Mehr Impfungen und Schnelltests könnten ein Baustein sein, um schneller aus dem Lockdown herauszukommen. „Genügend Tests stehen derzeit zur Verfügung“, so Altmaier. Im Moment gebe es aber noch ein Fragezeichen, ob es so gemacht werden könne, gibt er zu bedenken.

Für die Mitglieder des BDS bleibt am Ende des rund zweistündigen Stammtisches wenig Neues und viele offene Fragen. Der Bundesminister schließt mit der Zusage, sich weiter für die Unternehmen einzusetzen und nachzubessern, wo es erforderlich sei.