Nürtinger Zeitung

Die vergessenen Helden des Alltags: Bonus für Pflegekräfte – aber nicht für alle

Die vergessenen Helden des Alltags: Bonus für Pflegekräfte – aber nicht für alle

18.07.2020 05:30, VON MATTHÄUS KLEMKE UND UWE GOTTWALD —

Pfleger bekommen für ihren Einsatz in der Coronazeit einen Bonus ausgezahlt – aber längst nicht alle

Um den Einsatz von Pflegekräften während der Corona-Krise zu würdigen, hat die Bundesregierung eine Bonuszahlung von 1000 Euro beschlossen. Länder und Arbeitgeber können auf 1500 Euro aufstocken. Bedacht werden allerdings nur Mitarbeiter in der Altenpflege. Auch im Kreis Esslingen sorgt das für Unmut.

Der Abend des 17. März 2020 – mitten im Lockdown: Deutschlandweit stehen Menschen an ihren Fenstern und applaudieren. Sie würdigen den Einsatz des Krankenhauspersonals im Kampf gegen das Corona-Virus. In den Ärzten und Pflegern hatte man die Helden der Krise gefunden.

Doch in der Diskussion um den Pflegbonus scheint, als seien manche doch mehr Held gewesen als andere. Während sich Pfleger in Altenheimen über ein wenig finanzielle Anerkennung freuen können, gehen Angestellte in Krankenhäusern und der Behindertenpflege leer aus.

„Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar“, sagt Max Haubensack. Der 25-Jährige arbeitet als Sozialpädagoge für die Behinderten-Förderung Linsenhofen. Mit einem Team aus Heilerziehungspflegern, Kranken- und Altenpflegern betreut er in Nürtingen eine Wohngruppe für Menschen mit höherem Pflegegrad. Dass niemand aus dem Team mit der Einmalzahlung bedacht wird, sei nicht gerecht. „Wir haben auch Altenpfleger bei uns angestellt. Sie machen hier genau so viel Pflege, wie in einem Altenheim, aber bekommen den Bonus nicht, weil sie hier arbeiten,“ sagt Haubensack.

Die Belastung während des Lockdown sei auch für Mitarbeiter in der Behindertenpflege deutlich höher gewesen. Denn die sieben Bewohner in der Gruppe arbeiten üblicherweise tagsüber in der Werkstatt der Behinderten-Förderung. In dieser Zeit gehen die Betreuer normalerweise nach Hause. „Die Werkstätten haben aber zeitgleich mit den Schulen dicht gemacht. Die Bewohner waren also jeden Tag zu Hause“, sagt Haubensack: „Natürlich mussten dann auch immer Betreuer vor Ort sein.“

Eine stressige Ausnahmesituation für Angestellte und Bewohner: „Wir mussten ihnen versuchen zu erklären, wieso sie nicht mehr zu arbeiten durften, nicht mehr mit uns einkaufen durften und einen Mundschutz tragen müssen.“

Zwar sei die Arbeit in der Wohngruppe vor allem pädagogisch geprägt, „aber die Pflege nimmt einen wichtigen Teil ein“, so der Sozialpädagoge. Wieso beim Pflegebonus hier eine Grenze gezogen wird, sei frustrierend. „Der demografische Wandel macht auch vor der Behinderthilfe nicht halt. Wir haben viele Leute, die Kandidaten für eine Pflegeheim wären.“

Wegen der Ungleichbehandlung der Pflegekräfte gab es in den vergangenen Tagen und Wochen vor allem für Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der den Pflegebonus auf den Weg gebracht hatte, viel Kritik. Das Bundesgesundheitsministerium begründet die Ungleichheit auf seiner Internetseite damit, „dass die Entlohnung in der Altenpflege aktuell noch nicht so hoch ist wie zum Beispiel die Entlohnung von Pflegekräften in Krankenhäusern“.

Den Ärger unter den Angestellten in der Kranken- und Behindertenpflege kann der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Michael Hennrich verstehen: „Die Frage bleibt, wer das bezahlen soll. Bund, Länder, Krankenkassen?“ Er gibt zu bedenken, dass die Belastung in den Pflegeheimen während der Corona-Krise überall gleichermaßen hoch war. „In den Krankenhäusern war es hingegen sehr unterschiedlich“, so Hennrich.

Während das Klinikpersonal im Landkreis Esslingen an seine Grenzen kam, habe es in anderen Krankenhäusern sehr viel weniger zu tun gegeben. „Da kam es fast zu Stillstand, bis hin zu Kurzarbeit“, sagt Hennrich. Deshalb hält er es „im Kern für richtig, dass die Krankenhäuser zusammen mit den Krankenkassen, eine passgenaue Budgetierung aushandeln sollten.“

Die SPD-Kreistagsfraktion nimmt jetzt den Landkreis und die Landesregierung in die Pflicht. „Es muss nun zwingend gewährleistet werden, dass die Pflegekräfte, die auf den Intensivstationen auch im Landkreis Esslingen, monatelang über ihre Grenzen gegangen sind, einen Bonus als Wertschätzung auch tatsächlich erhalten“, so SPD-Fraktionschef Michael Medla. Der Landkreis als Träger der Medius-Kliniken müsse den Druck auf die Bundesregierung erhöhen. Zur Not müsse geprüft werden, „ob und inwieweit der Landkreis und die Kliniken selbst einen Bonus stemmen können“, so Medla.

Aber auch die Zurückhaltung der Landesregierung wird von der SPD im Landkreis Esslingen kritisiert. Beispiele wie Schleswig-Holstein und Bayern zeigten, dass eine Unterstützung durch das Land durchaus möglich sei.

Mit dieser Forderung konfrontiert zeigte sich das Staatsministerium in Stuttgart auf Anfrage unserer Zeitung zurückhaltend: „Wichtig ist aus unserer Sicht, dass es eine bundeseinheitliche Lösung gibt. Und eine solche gibt es nur für Personal in Pflegeeinrichtungen“, so Pressesprecher Christoph Neethen.

Land differenziert zwischen Altenpflege und Kliniken

Das Personal in Pflegeeinrichtungen sei während der Corona-Pandemie durchgehend besonderen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen. „Deshalb hat Baden-Württemberg auch den Vorstoß des Bundes zum Pflegebonus unterstützt“, so Neethen. „Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Vergütungsstrukturen in den Bereichen der Pflege in Pflegeeinrichtungen und in Krankenhäusern nicht identisch sind.“

Das ist ein grundsätzliches Problem, doch muss die Frage erlaubt sein, ob eine Bonusregelung die geeignete Lösung ist. Tatsächlich sind Pflegekräfte in den Kliniken im Durchschnitt finanziell besser gestellt, als in der Altenpflege. Die Altenpflege wird über die Pflegekasse, also dem Pflegeversicherungsbeitrag aller Sozialversicherungspflichtigen finanziert. Die Kliniken erhalten für ihre Leistungen die Vergütung von den allgemeinen und den privaten Krankenkassen. Im Falle des Bonus dachte Gesundheitsminister Spahn zunächst auch an eine Finanzierung über die Pflegekasse, wogegen sich die Krankenkassen jedoch wehrten und die Gerechtigkeitsfrage stellten. Das Geld – beim Bonus allein handelt es sich immerhin um rund 1,1 Milliarden Euro – müsste womöglich durch Beitragserhöhungen refinanziert werden. Das träfe dann auch solche Beitragszahler, deren Verdienst noch geringer sein kann, als der von Kräften in der Altenpflege. Nach diesem Aufschrei der Kassen will der Gesundheitsminister nun offenbar die Finanzierung aus einem Reservefonds entnehmen, der zur Stützung der Pflegekassen in schlechteren Zeiten gedacht ist, wobei es sich dabei um allgemeine Steuergelder handelt.

Nochmals mit Steuergeldern einspringen möchte der Bund aber offenbar nicht. Gesundheitsminister Spahn fordert nun die für die Pflege in Kliniken zuständigen Tarifpartner auf, über Sonderleistungen zu verhandeln. Er habe Verständnis für die Wut vieler Krankenpflegerinnen und -pfleger über ausbleibende Corona-Boni, ließ er verlauten, und nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht. Diese können und sollen in der Krankenpflege entsprechende Prämien zahlen. Dies sollten die Beschäftigten über die Gewerkschaften oder Betriebsräte deutlich machen.

Benjamin Stein, Geschäftsführer der Dienstleistergewerkschaft Verdi für die Region Fils-Neckar-Alb, erklärt dazu: „Für Verhandlungen für unsere Mitglieder in der Altenpflege hatten wir lange Zeit gar keinen Ansprechpartner und deshalb auch keine allgemeinen tariflichen Regelungen.“ Mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP), einem Zusammenschluss vor allem von großen Wohlfahrtsverbänden, denen mittlerweile wohl auch an einheitlichen Tarifen gelegen sei, habe sich erst in jüngster Zeit dieser Verhandlungspartner herauskristallisiert. Die einzige bisher festgeschriebene tarifliche Regelung ist nun der Bonus, zu dem die Arbeitgeberseite nichts habe beitragen müssen, weil eben vom Bund finanziert.

Für das Klinikpersonal dagegen verhandelt Verdi mit der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA). Vor allem in Baden-Württemberg werde die Mehrzahl der Kliniken noch in kommunaler Hand oder mit kommunalen Mehrheitsbeteiligungen geführt. So auch im Kreis Esslingen, der hundertprozentiger Gesellschafter der Medius-Kliniken ist. Stein betont: „Forderungen können wir erst erheben, wenn der geltende Tarifvertrag im Dezember ausläuft.“ Man habe dem VKA angeboten, wegen der Folgen der Corona-Krise nur einen Tarifvertrag mit kurzer Laufzeit abzuschließen und darin einen Bonus aufzunehmen. Es sei jedoch signalisiert worden, dass man eine ganz normale Tarifrunde führen möchte. „Dann ist zu befürchten, dass einer Forderung nach einem Bonus damit begegnet wird, dass wir in anderen Verhandlungspositionen Abstriche machen müssten und es am Ende fraglich ist, ob für das Klinikpersonal etwas gewonnen wurde“, so Stein.

Dass nun das Thema hochkocht, liegt auch an der Kommunikationspolitik der Bundesregierung. Schon vor Wochen war die Rede von dem „Bonus für Beschäftigte in der Pflege“, und für die allermeisten verstand es sich, dass damit alle Pflegekräfte gemeint sein müssten. Erst ein Fernsehbericht vor eineinhalb Wochen, der auf die Diskrepanz hinwies und in dem die Nürtinger Klinik als ein Beispiel für ein besonders belastetes Krankenhaus genannt wurde, ließ die Wogen hochgehen.

Nach ihrer Pressemitteilung brachte die Kreistags-SPD das Thema mittels eines ähnlich lautenden Antrags am Donnerstag in den Kreis-Finanzausschuss. Die Kreisverwaltung stellte jedoch klar, dass die Frage eines Bonus zunächst den Aufsichtsrat der Klinik-Gesellschaft betreffe, in dem die Fraktionen anteilig vertreten sind. Der tagt erst am 17. September. Deshalb gab es am Donnerstag auch keine große Debatte, doch stellte Marianne Erdrich-Sommer (Grüne) klar: „Als die Diskussion aufkam, haben auch wir uns wie auch andere Fraktionen an die Verwaltung gewandt.“ Die SPD könne sich den Schuh als Fürsprecher nicht alleine anziehen.

Landrat kritisiert den Vorstoß des Gesundheitsministers

Landrat Heinz Eininger ließ keinen Zweifel über seinen Ärger: „Wer bestellt, muss liefern“, zielte er in Richtung von Gesundheitsminister Spahn. Und auch die SPD ist nicht außen vor, hatte doch ihr Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, den Vorschlag des Bundesgesundheitsministers unterstützt. Einmal in Fahrt, legte der Landrat nach: „Das ist keine gute Politik, im Gegenteil, das schafft Missgunst und Unzufriedenheit.“ Damit zielte er auch darauf ab, dass weitere und ebenfalls weniger gut bezahlte Beschäftigte überdurchschnittlichen Einsatz zur Bewältigung der Krise beigetragen hätten.

Die Verwaltung hatte aber auch Zahlen parat. Ein steuerfreier Bonus von 1500 Euro hätte für die Kliniken Mehrkosten von rund vier Millionen Euro zur Folge. Gleichzeitig seien sie ohnehin schon belastet, werde doch nur ein Teil der durch die Pandemie entstandenen Einnahmeausfälle vom Bund erstattet. Unter dem Strich bleibe bisher ein monatliches Minus von 1,4 Millionen Euro und auch jetzt seien die Kliniken noch nicht so ausgelastet, wie zuvor. Dazu kämen rund 3,6 Millionen Euro an zusätzlichen Betriebskoten, allein für Schutzausrüstung rund 2,7 Millionen Euro, was vom Bund mit 100 000 Euro nicht annähernd kompensiert werde.

Die Verwaltung schließt sich vielmehr den gemeinsamen Forderungen der Gewerkschaft Verdi, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Deutschen Pflegerats an. In der Pflege brauche es ein detailliertes Pflegebemessungssystem, das von den Krankenkassen als den Kostenträgern finanziert werden müsse. Nur so könnten gute Rahmenbedingungen für das Personal und ein wirtschaftlicher Betrieb garantiert werden.