Organspende: So wollen Nürtinger Abgeordnete abstimmen
Organspende: So wollen Nürtinger Abgeordnete abstimmen
Die Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Nürtingen wollen sich für eine aktive Zustimmung von Spendern aussprechen
Nach wie vor fehlt es in Deutschland an Organspenden. Morgen steht dazu eine wichtige Entscheidung im Bundestag an. Zur Abstimmung wird die sogenannte doppelte Widerspruchslösung gebracht. Demnach soll jeder Organspender sein, der zu Lebzeiten dazu nicht ausdrücklich seine Zustimmung versagt hat. Wir fragten die Abgeordneten aus dem Wahlkreis Nürtingen dazu.
Die Haltung ist auch innerhalb der Fraktionen nicht einmütig. So gibt es einen konkurrierenden Gesetzentwurf, mit dem auf mehr Aufklärung und Werbung für Organspenden gesetzt werden soll. Dafür macht sich zum Beispiel die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock stark. Die Initiative für die Widerspruchslösung kam von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und vom SPD-Gesundheitsexperten Dr. Karl Lauterbach. In ersten Orientierungsdebatten Ende 2018 und Mitte 2019 wurde das Thema im Bundestag diskutiert.
Hingewiesen wurde darauf, dass sich laut Umfragen in der Bevölkerung regelmäßig eine Mehrheit für Organspenden ausspreche, die tatsächlich ausgestellten Spenderausweise dagegen bei Weitem die Umfrageergebnisse nicht widerspiegelten.
Auf diese Diskrepanz wies am Montag auch der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha hin. Außerdem zeige sich in anderen europäischen Ländern, dass die Widerspruchslösung zu einer deutlich höheren Spenderzahl als die Zustimmungslösung führe. Im Gegensatz zu seiner Parteifreundin Baerbock verkündete der Grünen-Politiker: „Ich spreche mich klar für die Widerspruchslösung aus.“ Gleichzeitig plädiert er jedoch wie Baerbock für eine bessere Aufklärung. Wichtig sei darüber hinaus, in den Entnahmekliniken sowohl personell als auch von der Ausstattung her entsprechende Voraussetzungen zu haben, um ethisch und medizinisch einwandfrei handeln zu können. Dafür sei zuletzt gerade in Baden-Württemberg viel getan worden.
Lucha spricht damit die Sorgen an, die Menschen nicht zuletzt nach dem Organspendeskandal von 2012 umtreiben. Dabei sollen sich einzelne Transplantationszentren nicht an Richtlinien zur Vergabe von Spenderorganen gehalten haben.
Bei den bisherigen Debatten im Bundestag zeigte sich, wie emotionsbeladen die Frage ist und sich deshalb in den meisten Fraktionen sowohl Befürworter als auch Gegner der jeweiligen Anträge finden. Wie die Abgeordneten, denen diese Gewissenentscheidung freigestellt ist, entscheiden werden, ist offen.
Im Wahlkreis Nürtingen will der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich, Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags, gegen die Widerspruchslösung stimmen und meint: „Ich sehe da schon eine rechtliche Schwierigkeit, gilt doch nach unseren rechtsstaatlichen Kriterien in keinem wichtigen Lebensbereich, dass Schweigen Zustimmung bedeutet. Gerade in einer solch sensiblen Frage sollte das nicht anders sein.“ Er sei ohnehin der Meinung, dass die Zahl der Organspenden nicht an der Frage der Widerspruchs- oder der Zustimmungslösung hänge. „Vielmehr geht es darum, gute Strukturen zu schaffen“, spricht auch Hennrich das Problem der Befähigung von Kliniken und der Aufklärung an. Dazu habe die Bundesregierung vor nicht allzu langer Zeit ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet. „Das hätte man zunächst wirken lassen sollen“, so Hennrich. Mit Blick auf Spanien und die Akzeptanz zu staatlicher Reglementierung merkt er noch an: „Dort gilt zwar die Widerspruchslösung, doch wird sie in der Praxis nicht angewandt.“
Ähnlich sieht es die FDP-Abgeordnete Renata Alt. Sie teilt mit: „Die Widerspruchsregelung à la Jens Spahn nimmt den Menschen das Recht, informiert und selbstbestimmt über eine Spende zu entscheiden. Gerade die Menschen, die sich mit dem Thema nicht befassen können oder wollen, werden damit ihrer freien Entscheidung beraubt. Ein Schweigen darf deshalb nicht als Zustimmung gewertet werden.“ Eine regelmäßige Befragung, zum Beispiel bei der Ausweisbeantragung, wie es der Alternativantrag einer interfraktionellen Bundestagsgruppe vorsieht, wahre die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen. „Eine Spende muss schließlich eine echte Spende bleiben“, so die Abgeordnete aus dem Wahlkreis.
Mehr Aufklärung sowie mehr Unterstützung für Kliniken
Und auch Matthias Gastel, Grünen-Abgeordneter aus dem Wahlkreis im Bundestag, setzt auf eine bewusste Entscheidung der Spender, wenn er meint: „Eine Organtransplantation ist für viele schwerkranke Menschen die einzige Möglichkeit auf Lebensrettung oder Linderung eines schweren Leidens. Daher muss die Anzahl der Organspenderinnen und Organspender erhöht werden. Der Gesetzentwurf, den ich mitgezeichnet habe, sieht eine bessere Information und Aufklärung vor, mit der mehr Menschen für die Organspende geworben werden.“ Die Entscheidung, die eigenen Organe spenden zu wollen, sei bewusst und freiwillig zu erfolgen, womit auch Gastel die Zustimmungslösung favorisiert. Die menschliche Würde erfordere es, dass diese Entscheidung aktiv getroffen und jederzeit korrigiert werden könne, meint er.
Dazu bekennt sich schließlich auch Nils Schmid (SPD), auch wenn ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen sei. Er sieht das eigentliche Problem jedoch ebenfalls im mangelnden Vertrauen von potenziellen Spendern sowie einer gewachsenen, kleingliedrigen Krankenhausstruktur und den dadurch fehlenden Voraussetzungen für Organspenden. Das müsse verbessert werden, was auch eine von ihm im Wahlkreis initiierte Veranstaltung mit Experten gezeigt habe. Durch die Widerspruchslösung könnte die Unsicherheit vieler Menschen wachsen. Deshalb entscheide er sich für die Lösung, mehr zu werben, damit sich Unentschlossene immer wieder mit der Frage auseinandersetzen.