2018 war wohl gar nicht so schlecht
2018 war wohl gar nicht so schlecht
Beim Silvesterwiegen bringen die Gäste im Durchschnitt mehr Pfunde auf die Waage als letztes Jahr – Es kamen aber weniger
Es war wieder einmal ein Stelldichein der örtlichen Prominenz: Zum traditionellen Silvesterwiegen kamen 91 Honoratiorinnen und Honoratioren in den Panoramasaal der Stadthalle K3N – und brachten zusammen 14 737 Pfund auf die Balkenwaage. Zudem ließen die Gäste 475 Euro Wiegegeld liegen, das dem neuen Bürgerhaus Krone in Oberensingen zugute kommt.
NÜRTINGEN. Natürlich: Ein bisschen Wehmut schwang diesmal bei Oberbürgermeister Otmar Heirich mit. Es ist sein letztes Silvesterwiegen als Stadtoberhaupt, bevor er in den Ruhestand geht. „Das hat mir immer viel Freude gemacht“, sagte Heirich. Die Traditionsveranstaltung habe sich wieder gut entwickelt, meinte er.
Auch wenn sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger Wiegewillige in die Schlange der diesmal von Sabine Hausch vom Technischen Rathaus bedienten Balkenwaage einreihten. Waren es 2017 noch 105 Gäste, die sich für den guten Zweck einer öffentlichen Gewichtskontrolle unterzogen, waren diesmal nur 91 gekommen. Ob’s an der strategisch günstigen Brückenlage des Silvestertags zwischen Sonntag und Dienstag lag? Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann war nicht zugegen. Er hatte seinem Wahlkreis bereits am Freitag beim Pfeffertagswiegen in Neuffen eine gewichtige Stippvisite abgestattet.
Einen Zuwachs hatte das Organisationsteam um Bärbel Igel-Goll und Siegfried Pantel vom Amt für Stadtmarketing, Wirtschaft und Tourismus dennoch zu verzeichnen. Die 19 Damen und 72 Herren erzielten ein höheres Durchschnittsgewicht als im letzten Jahr. Brachte man letztes Jahr noch im Schnitt 158 Pfund auf die Waage, waren es in diesem Jahr schon 162. Dies ließ den bald scheidenden Oberbürgermeister zu folgender Einschätzung kommen: „So schlecht kann das Jahr nicht gewesen sein.“
Bei seinem traditionellen Rückblick auf das vergangene Jahr und seiner Diagnose zur globalen Befindlichkeit hingegen wartete der OB jedoch erst einmal mit einer ganzen Menge eher negativ klingender Schlagworte auf. Angesichts mannigfaltiger Naturkatastrophen gerade zum Jahresende könnte man meinen, das Jahr sei furchtbar gewesen. Hinzu kommen weitere befremdliche Entwicklungen wie ein weiterhin unberechenbar agierender US-Präsident Trump oder die AfD als rechtsradikale Partei im Bundestag. Auch die EU leide unter Brexit und Populismus. In Syrien und Jemen tobten schreckliche Kriege.
Dennoch habe es auch Positives gegeben, sagte Heirich. Die Kindersterblichkeit zum Beispiel habe abgenommen, ebenso wie die extreme Armut. Gute Signale seien vom Klimagipfel in Kattowitz gekommen: Auch ohne die USA gehe etwas. So könne man auch für das neue Jahr auf positive Schlagzeilen hoffen. Dennoch habe 2018 in mancherlei Hinsicht das „Ende der Gewissheit“ gebracht. Mit dem Rückzug Angela Merkels aus dem Kanzleramt könnte auch in Europa die Stabilität ins Wanken geraten. Außerdem verlören die Volksparteien weiter an Bindewirkung. Und auch der Konjunkturmotor könnte ins Stottern geraten. Letztlich sorgten sowohl Trumps Alleingänge als auch die Kapriolen der Autoindustrie in Deutschland für wirtschaftliche Ungewissheit. Und: Selbst die deutsche Fußballnationalmannschaft als einstiger Weltmeister gehe als B-Klassen-Team ins neue Jahr.
Auch in Nürtingen ist der Ton rauer geworden
Und in Nürtingen? Auch hier habe sich vieles verändert, sei der Ton rauer geworden. Das mache es Politik und Verwaltung zunehmend schwerer, Nötiges anzustoßen. Dennoch konnte Heirich auf eine Vielzahl von kommunalpolitischen Projekten zurückblicken. Zum Beispiel auf gelungene Baumaßnahmen wie den Kindergarten Talstraße in Raidwangen, den Eingangsbereich der Reuderner Gemeindehalle oder auch die Renaturierung der Autmut. Das zeige, dass man nicht nur in der Kernstadt, sondern auch in den Stadtteilen investiere. Weiter habe man Gewerbegebiete ausgebaut und das Schaffen von bezahlbarem Wohnraum forciert.
Heirich blickte freilich auch voraus. Und nicht nur aufs nächste Jahr. Man werde sich erneut um die Ausrichtung einer Landesgartenschau bewerben, und zwar für den Zeitraum zwischen 2031 und 2035. Das werde neue Dynamik in die Stadt bringen. In der Innenstadt werde man auf dem Schillerplatz mit der Sanierung weitermachen, auch das Sanierungsgebiet Schlossberg mit dem Hölderlinhaus werde neue Impulse geben. Des Weiteren werde unter anderem der Hochwasserschutz eine große Rolle spielen.
Die finanzielle Entwicklung der Stadt sei im zu Ende gehenden Jahr gut gewesen. Mit soliden Finanzen rechnet der OB deshalb auch für 2019. Aushängeschilder für die Stadt sind laut Heirich weiter viele hochwertige kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Ausstellungen. Und auch die Erfolge der Sportler hätten große Strahlkraft.
Heirich versäumte es aber auch nicht, beim Silvesterwiegen an einen schmerzhaften Abschied zu erinnern: Bürgermeisterin Claudia Grau war im vergangenen Jahr gestorben. Doch auch neue Gäste galt es zu begrüßen: Die neue Bürgermeisterin Annette Bürkner, den künftigen Ordnungsamtschef Peter Herrle oder auch den neuen Musikschulleiter Albrecht Meincke waren unter denen, die sich unter den Augen kleiner blauer ans kommende Neckarfest erinnernde Quietsche-Enten auf den Tischen die städtischen Weißwürste schmecken ließen.
Eine wichtiges positives Projekt sei mit der Fertigstellung des Bürgerhauses Krone in Oberensingen realisiert worden, so der Oberbürgermeister am Ende seines Parforceritts durch die kommunale Entwicklung. Und Heirich freute sich, dass der Erlös des Silvesterwiegens hinüber nach Oberensingen gehen könne. Dazu trugen die wiegewilligen Gäste aus Politik, von Kirchen, Behörden und Ärzteschaft bei, deren Gewichtsdaten von Heidrun Eisele vom Technischen Rathaus ausgewertet wurden. Unter ihnen ein absoluter Rekordträger: Der ehemalige Oberensinger Bürgerausschussvorsitzende und Ex-Stadtrat Günter Stoll stellte sich bereits zum 44. Mal auf die städtische Balkenwaage.
Gespannt war Heirich, wie sich das kräfteraubende Jahr auf die Gewichte der Politiker in Berlin ausgewirkt hätten. Bei den Bundestagsabgeordneten Renata Alt (FDP) und Matthias Gastel (Grüne) sei keine Veränderung zu verzeichnen. Gerade Gastel komme mit seinen 136 Pfund an die gewichtige Persönlichkeit von Michael Hennrich von der CDU mit 182 Pfund nicht heran, meinte der OB scherzhaft – was Gastel launig mit der Bemerkung „politisch schon“ konterte.
Während Heirichs Amtskollegen Matthias Ruckh aus Wolfschlugen unverändert 196 Pfund auf die Waage brachte, büßte Aichtals Rathauschef Lorenz Kruß fünf Pfund ein. „Da ist es wohl nicht ganz einfach“, blickte Heirich in die Nachbargemeinde. Er selbst hingegen legte nur ein Pfund zu, während sein Amtsvorgänger Alfred Bachofer sein Gewicht um ein Pfund verringerte.