Nürtinger Zeitung

Droht ein Steuer-Bürokratiemonster?

Droht ein Steuer-Bürokratiemonster?

28.12.2018, VON PHILIP SANDROCK —

Wie soll eine Grundsteuerreform aussehen? – Die Nürtinger Bundestagsabgeordneten zur geplanten Reform des Finanzministers

Nach einem Verfassungsgerichtsurteil muss die Grundsteuer reformiert werden – bis 2019 müssen Immobilien deutschlandweit einheitlich besteuert werden. Finanzminister Olaf Scholz stellte zwei mögliche Modelle vor: Eines richtet sich nach dem Wert und Ertrag der Immobilie, das andere nur nach der Fläche. Wie sehen die Nürtinger Bundestagsabgeordneten den Fall?

Die Grundsteuer betrifft in Deutschland fast jeden – egal ob Wohnungseigentümer, Häuslebauer oder Mieter. Doch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist sie in ihrer jetzigen Form nicht gerecht. Sie verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Der Grund: der Einheitswert, anhand dessen die Steuer bemessen wird, ist völlig veraltet. In Westdeutschland wurde er das letzte Mal 1964 angepasst, in den ostdeutschen Bundesländern stammt der Wert sogar aus dem Jahr 1935. Seitdem war vieles im Wandel: Grundstücke und Gebäude haben an Wert gewonnen – oder verloren. Deshalb hatten die Verfassungrichter den Gesetzgeber im April dazu verdonnert, bis Ende 2019 die Grundsteuer zu reformieren.

„Ich halte das geplante wertabhängige Modell für schwierig und plädiere für ein Modell, welches die in Anspruch genommene Grundstücksfläche sowie die Wohnfläche zum Maßstab der Grundsteuerberechnung macht“, sagt der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich zu den Reformvorschlägen des Ministeriums.

Das wertabhängige Modell bringe mehrere Schwierigkeiten mit sich, so Hennrich. Es habe einen hohen bürokratischer Aufwand. Das bringe Mehrkosten mit sich vor allem beim Personal. Außerdem würde die Umsetzung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Ein wertunabhängiges Modell sei relativ schnell und einfach umzusetzen, so Hennrich, der auch Landesvorsitzender des württembergischen Landesverbands von Haus & Grund ist.

Eine wertabhängige Steuer sei streitanfällig, da es bei der Berechnung der Grundsteuer gerade bei Selbstnutzung und der Zugrundelegung der fiktiven Miete zu erheblichen Schwierigkeiten kommen könne, sagt Hennrich. Hier sieht der Jurist auch verfassungsrechtliche Probleme, weil es bei Immobilien mit ähnlicher Größe und Ausstattung erhebliche Unterschiede in den anzusetzenden Beträgen geben kann. Auch bei Vermietung gibt es da durchaus unterschiedlich vereinbarte Miethöhen. „Das darf meines Erachtens aber bei der Berechnung der Grundsteuer keine Rolle spielen, weil mit dieser ja die Nutzung an örtliche Infrastruktureinrichtungen wie Straße, Wasser und Ähnliches abstrakt abgegolten werden soll“, so Hennrich.

Zudem müssten häufiger Neuberechnungen erfolgen, da sich die Mieten ja auch anpassen beziehungsweise sich laufend verändern. Muss dann bei jeder Mieterhöhung das der Kommune angezeigt werden? Wie verfährt man da mit selbstgenutztem Wohneigentum? Auch hier ist Streit vorprogrammiert.

Hennrich befürchtet eine Verteuerung des Wohnens in den Städten. Mit der Folge, dass für Menschen mit geringerem Einkommen das Wohnen in der Stadt noch schwieriger wird.

„Ich habe immer den leisen Verdacht, wenn es um wertabhängiges Modell geht, dass das ein Einstieg in das Wiederaufleben der Vermögenssteuer sein soll“, so Hennrich.

Sein SPD-Kollege Nils Schmid begrüßt den Vorschlag von Finanzminister Scholz: „Ich halte den Vorschlag für richtig und gut, weil wir eine wertabhängige Grundsteuer brauchen“, so Schmid. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Luxusimmobilie in der Stadtmitte nicht genauso besteuert wird wie ein einfaches Reihenhaus. Für Schmid sei es eine Frage der Gerechtigkeit, dass in der Besteuerung von Immobilien auch eine wertabhängige Komponente enthalten ist und es nicht nur nach der reinen Fläche geht. In der Miete spiegele sich auch der Wert der Immobilie wider. Das gelte auch bei gleicher Wohnfläche. Für selbstgenutzte Wohneigentum müsse man eine fiktive Miete errechnen. Dabei könne man sich an Wohnwerttabellen oder den Mietspiegeln orientieren. „Das Problem ist lösbar“, so der ehemalige baden-württembergische Finanz- und Wirtschaftsminister. Auch ein reines Bodenwertmodell, wie es beispielsweise der Deutsche Mieterbund vorschlägt, reiche nicht weit genug – „es ist ja ein Unterschied, ob auf einem Grundstück ein Mehrfamilienhaus oder eine Villa steht“, sagt Schmid. Das werde von einem reinen Bodenwertmodell nicht erfasst.

Wohnfläche oder Ertragswert

Das reine Flächenmodell werde zwar geprüft. Aber von Seiten der SPD soll es nicht weiterverfolgt werden. Bereits seit 2001 – als Schmid in die Landespolitik kam – sei von den Ländern gefordert worden, die Grundsteuer zu reformieren. Viele Jahre hätten Finanzminister, egal welcher Couleur, diese Reform verbummelt und auf den Bundesrat verwiesen.

Olaf Scholz gehe dieses Thema nun an. Der Grundsatz sei, dass die Reform aufkommensneutral sein müsse. Derzeit bekommen die Kommunen insgesamt 14 Milliarden Euro über die Grundsteuer. An dem Betrag solle sich auch künftig nichts ändern. Lediglich die Berechnungsgrundlage solle gerechter und transparenter werden. Nach wie vor solle der kommunale Hebesatz die entscheidende Stellschraube für die Grundsteuerhöhe bleiben.

„Wir Grünen haben schon in der letzten Legislaturperiode beantragt, dass die Grundsteuer nicht mehr auf die Miete umgelegt werden kann, um Mieter vor weiteren möglichen Mietanstiegen zu schützen“, sagt Matthias Gastel. „Unser übergeordnetes Ziel bleibt, die Grundsteuer dauerhaft als kommunale Einnahmequelle zu erhalten und wertorientiert und verfassungsfest auszugestalten.“ Die Reform solle dabei insgesamt aufkommensneutral ausgestaltet werden.

Weite Teile der CDU befürworteten ein Flächenmodell, so der Nürtinger Grünen-Abgeordnete. „Wir Grünen haben ein solches jedoch von Beginn an abgelehnt, da es weder gerecht noch verfassungsfest ist.“ Bei der wertunabhängigen Berechnung der Grundsteuer würde eine dreistöckige Villa in bester Stadtlage genauso bewertet werden wie ein Einfamilienhaus im ländlichen Raum, sagt Gastel.

Zur Ermittlung der Grundsteuer sollen beim wertabhängigen Modell im Abstand von sieben Jahren je fünf Werte abgefragt werden, was einen immensen Aufwand nach sich ziehen würde. Kritisch sei auch, dass Gleiches ungleich besteuert wird durch die Mischung der tatsächlichen Miete mit einer fiktiven Vergleichsmiete. Wegen der Zeitvorgaben des Bundesverfassungsgerichts bleibe nicht mehr viel Zeit. Die Neugestaltung der Grundsteuer müsse nun zügig vorangetrieben werden. Dies gelte umso mehr, falls es im Zuge der Reform der Grundsteuer tatsächlich notwendig werden sollte, auch das Grundgesetz anzupassen, betont Gastel. Die Grünen seien bereit, an einer verfassungsfesten, werteorientierten und gerechten Lösung für die Ausgestaltung der Grundsteuer konstruktiv mitzuwirken.

Die FDP-Abgeordnete Renata Alt sieht die Reformpläne aus dem Finanzministerium kritisch: „Die bisher bekannt gewordenen Pläne des Bundesrates oder der Bundesregierung für eine Reform der Einheitsbewertung zur künftigen Erhebung der Grundsteuer zeichnen sich durch hohe Umsetzungskosten und überbordende Bürokratie aus.“ Die von der Bundesregierung geplante Aufkommensneutralität könne angesichts der Pläne angezweifelt werden. Für viele Menschen werde die Grundsteuer teurer und mit deutlich mehr bürokratischem Aufwand verbunden sein. Ebenso stehe die Finanzverwaltung vor der kaum lösbaren Aufgabe, die mehr als 35 Millionen Grundstücke zu bewerten. „Wir Freien Demokraten wollen ein rein flächenbasiertes Modell für die Grundsteuer, da ein auf zu erhebenden Werten basiertes Modell nicht vernünftig umsetzbar ist“, sagt Alt. Gleichzeitig hält sie die geplante Berechnung auf Basis der Miete für verfassungsrechtlich bedenklich, da Gleiches ungleich besteuert wird. Beispielsweise ein Haus mit drei identischen Wohnungen: Ein Mieter zahlt eine Miete nach Mietpreisspiegel, ein anderer mietet günstig von einem Angehörigen und der dritte ist Selbstnutzer. Dadurch entstehen unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, da die Miete für identische Wohnungen unterschiedlich hoch sei, nennt Alt ein Beispiel. Darüber hinaus klinge eine Steuerklärung, bei der man Nettokaltmiete, Wohnfläche, Baujahr, Grundstücksfläche und regionalen Bodenrichtwert angeben müsse, nicht unbedingt nach einer Vereinfachung. Die FDP wolle Bürokratie nicht aufbauen, sondern abbauen. Alt fordert, die bestehende Grundsteuer an die wirtschaftlichen Realitäten anzupassen und dadurch eine verfassungsgemäße Besteuerung des Grundbesitzes herbeizuführen. Neben der Höhe des Steueraufkommens müssen sich ein geringer Verwaltungsaufwand, eine hohe Akzeptanz und eine effiziente Nutzung des Bodens im Mittelpunkt der Reformüberlegungen wiederfinden. Auch müsse die Grundsteuer weiterhin über die Nebenkosten auf Mieter umgelegt werden dürfen.