Nürtinger Zeitung

„Wir brauchen dringend ein Signal der Erneuerung“

„Wir brauchen dringend ein Signal der Erneuerung“

30.10.2018, VON ANNELIESE LIEB —

Bundestagsabgeordnete äußern sich zum Ausgang der Hessenwahl und zur Verzichtserklärung von Angela Merkel

Wie beurteilen die Bundestagsabgeordneten der Wahlkreise Nürtingen und Esslingen den Ausgang der Hessenwahl und die Erklärung von Angela Merkel, im Dezember nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Michael Hennrich (CDU) wertet den Verzicht Merkels als gutes Zeichen und ein Signal zur Erneuerung der Partei.

„Wie bewerten Sie das Ergebnis der Hessenwahl? Wie erklären Sie sich die Stimmenverluste bei CDU und SPD und die Zuwächse bei Grünen und AfD? Sind Sie mit der Zusammenarbeit in der GroKo zufrieden? Ist es ein gutes Signal, dass Frau Merkel im Dezember nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren will?“ Fragen, die wir gestern unseren Bundestagesabgeordneten gestellt haben

Für CDU-MdB Markus Grübel, der zur Zeit an einer Wehrübung der Marine teilnimmt, sind die 27 Prozent der CDU in Hessen nicht erfreulich. „Der Verlust von zehn Prozent der Stimmen ist bitter und zeigt uns, dass es so nicht weiter gehen kann. Einziger Trost ist, dass die CDU in Hessen weiter regieren kann.“ Die Schuld an den Stimmenverlusten für die CDU ist nach Grübels Auffassung nicht in Hessen zu suchen, sondern in der Außendarstellung der Bundesregierung. Die Vorstellung des „Masterplans“ und der Fall „Maaßen“ nennt er als Beispiele für unnötigen Streit. Die Sacharbeit der Koalition sei deutlich besser als die Darstellung der Regierung in der Öffentlichkeit. Und wie beurteilt Grübel Merkels aktuelle Ankündigung: „18 Jahre Angela Merkel sind eine lange Zeit mit Höhen und Tiefen, mit großen Erfolgen und schmerzlichen Niederlagen. Sie zeigt mit ihrem Rückzug vom Parteivorsitz Größe und ermöglicht so einen Neuanfang.“ Jetzt komme für die CDU die spannende Phase der parteiinternen Meinungsbildung.

Ganz ähnlich fällt die Einschätzung von Parteikollege Michael Hennrich aus. „Die Schwarz-Grüne Koalition in Hessen hat gute Arbeit geleistet. Profitiert davon haben die Grünen. Dass die CDU so sehr verliert, hat ausschließlich mit dem schlechten Auftreten der CDU im Bund zu tun.“

Dass CDU/CSU und SPD auf der Sachebene gut zusammenarbeiten, so der Kirchheimer CDU-Abgeordnete, zeige sich in seinem Arbeitsbereich Gesundheit. „Leider konnten wir damit nicht durchdringen. Die Außendarstellung der führenden Köpfe der Koalitionsparteien war erschreckend schlecht; sie wirken kraftlos und zerstritten. So überzeugt man niemanden von sachlich guter Arbeit.“ Die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen sei sehr solide und auch von wechselseitigem Vertrauen geprägt, sagt Hennrich. „Die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD sind aber zur sehr mit sich selbst und ihren Streitereien beschäftigt. Exemplarisch dafür stehe die Causa Maaßen. Das Agieren der drei Parteivorsitzenden war hier mehr als unglücklich und ist für mich einer der tragenden Gründe dafür, dass es gerade in den letzten Wochen für alle Beteiligten so rasant nach unten ging. Zu Merkels Verzichtserklärung sagt Hennrich: „Ja, das ist ein gutes Zeichen. Bereits vor der Bundestagswahl habe ich offen gesagt, dass ich eine Trennung von Parteivorsitz in Angela Merkels vierter Legislaturperiode für sinnvoll halte, um einen Übergang an die nächste Generation zu gestalten. Wir brauchen dringend ein Signal der Erneuerung.“

Das Ergebnis der Hessenwahl ist für Dr. Nils Schmid (SPD) eine schwere Schlappe für die SPD, die überwiegend auf das Erscheinungsbild der Partei im Bund zurückzuführen ist. „Eine Partei, die nicht weiß, was sie will, wird von niemandem gewählt. Das Gerede über einen Ausstieg aus der schwarz-roten Koalition, verstellt den Blick auf die Erfolge, die wir in der Regierungsarbeit unbestritten erreicht haben – von der Parität bei der Krankenversicherung über das Gute-Kita-Gesetz bis hin zur Rentenstabilität bis 2025.“ Grüne und AfD profitieren nach Schmids Ansicht von der Schwäche der beiden Berliner Koalitionsparteien. Insbesondere die CSU habe die Zusammenarbeit unnötig erschwert, indem sie ständig über Flüchtlinge geredet habe, „anstatt über die Probleme, die normale Bürger im Alltag haben – eine bezahlbare Wohnung zu finden, das Kind gut betreut zu wissen oder als Betrieb eine gute Fachkraft zu finden.“

In Sachen Merkel hält sich Dr. Nils Schmid raus: „Das ist allein Sache der CDU.“

Grüne sind zufrieden mit dem Ergebnis der Hessenwahl

MdB Matthias Gastel (Bündnis 90/Grüne) ist sehr zufrieden mit der Hessen-wahl: „Es ist gut, dass die schwarz-grüne Regierung weiter arbeiten kann.“ Die Rolle als dynamisch-konstruktive Oppositionspartei auf Bundesebene und verlässlich gestaltene Rolle in den Ländern mache sich bezahlt. „Wir Grüne leisten unaufgeregt gute Sacharbeit. Das honorieren sowohl bisherige CDU- als auch SPD-Wählerinnen.“ Auch die Tatsache, dass die Grünen mit einem klaren Profil pro Europa und pro Humanität den Gegenentwurf zu einer Politik der Angst und der Ressentiments à la AfD darstellen, überzeuge offenbar die Wähler.

Wichtig sei, so der Grüne-Bundestagsabgeordnete, dass die Regierung ihre Selbstbeschäftigung hinter sich lasse und endlich ihre Arbeit mache. Es gibt vieles, das endlich angepackt werden müsse: Klimakatastrophe, Wohnungsnot, sichere Renten und Europas Zusammenhalt. Eine leichtfertige Spekulation auf Neuwahl verbiete sich. „Die Menschen haben gewählt, jetzt muss endlich regiert werden.“

Zu Merkels Ankündigung sagt Gastel: „Frau Merkel hat die Union für ein modernes Gesellschaftsbild geöffnet. Dafür zollen wir ihr ebenso Respekt wie dafür, dass sie den in einer Demokratie immer wieder notwendigen Wechsel einleitet. Alles weitere ist eine interne Angelegenheit der CDU.“

Den Stimmenverlust der Parteien der Großen Koalition in Berlin wertet Renata Alt, die Bundestagsabgeordnete der Liberalen, als ein Misstrauensvotum gegen die Politik, gegen den Stil und die Inhalte der Großen Koalition, und auch gegen die Person der Bundeskanzlerin selbst. Stolz ist sie, dass die Freien Demokraten gestärkt wieder in den hessischen Landtag einziehen.

Die Große Koalition bedeute Stillstand für Deutschland, sagt Renata Alt. Die Bundesregierung taumele durch die Migrationspolitik, meide die Digitalisierung und bremse die Weiterentwicklung Europas aus. Die FDP werde keine Koalition mit dieser Politik des „Weiter so“ mittragen. Wir konzentrieren uns derweil als pragmatisch konstruktive Opposition auf unsere inhaltliche Arbeit.

„Frau Merkel gibt das falsche Amt ab“, nimmt Alt kein Blatt vor den Mund. Weder die Koalition noch das Land werde durch diesen Teilrückzug stabiler. „Wenn es schon einen Wechsel beim Parteivorsitz gibt, dann sollte die CDU auch den Weg frei machen für einen Neuanfang in der Regierung.“