Nürtinger Zeitung

Was wird aus Europa?

Was wird aus Europa?

07.01.2017, VON PETER SCHUSTER — Der Journalist Wolfgang Molitor sprach beim Neujahrsempfang des CDU-Stadtverbands

NÜRTINGEN. Die Europäische Union (EU) steckt in der Krise. Die nicht gelöste Flüchtlingskrise auf europäischer Ebene hat das Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen erschüttert. Vielen Menschen bereiten die hohe Verschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Staaten Sorge. Zudem stimmten die Bürger Großbritanniens im Juni 2016 mehrheitlich dafür, dass ihr Land aus der Europäischen Union austreten soll. Damit tritt erstmalig ein Land aus der EU aus.

Im Mittelpunkt des Neujahrsempfangs des CDU-Stadtverbands Nürtingen stand deshalb das Thema „Was wird aus Europa?“. Der Hauptreferent, Wolfgang Molitor, stellvertretender Chefredakteur der „Stuttgarter Nachrichten“, setzte sich in seinem spannenden und informativen Vortrag mit der Frage auseinander, wie sich Europa in 2017 entwickeln könnte. Über 200 Interessierte, darunter der Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich, Oberbürgermeister Otmar Heirich und zahlreiche Gemeinderäte, konnte der Stadtverbandsvorsitzende Thaddäus Kunzmann in der Stadthalle K3N begrüßen.

Kunzmann sprach den Kölner Polizisten seinen Dank aus

In seinem Grußwort dankte Kunzmann „den Polizeibeamten, die in Köln und anderswo an Silvester für unsere Sicherheit sorgten“. Er verlieh der Erwartung vieler Bürger Ausdruck, dass der Staat angesichts des Terrors die „richtige und konsequente Antwort findet.“ „Wir müssen nicht lernen, mit dem Terror zu leben, sondern wir müssen gemeinsam den Terror bekämpfen und besiegen. Das muss der Anspruch des Staates und der Politik sein“, sagte Kunzmann unter dem Beifall der Anwesenden. Was sich in Köln an Silvester 2015 und 2016 ereignet habe, bezeichnete Kunzmann als „eine Form von Terror.“ Kunzmann, der auch Nürtinger CDUStadtrat ist, zeigte die Herausforderungen auf, die bei der Planung und dem Bau von Häusern für Flüchtlinge in Nürtingen entstehen.

In seinem Vortrag machte Wolfgang Molitor zahlreiche Unwägbarkeiten aus, weshalb es schwierig sei, vorauszusagen, wie sich Europa im Jahr 2017 entwickeln wird. Europa stehe zunehmend innenpolitisch wie von außen unter Druck. Molitor richtete zunächst den Blick auf die anderen Länder. Großbritannien werde im nächsten Jahr Artikel 15 des Vertrags von Lissabon aktivieren. Das wirtschaftsstarke Land trete dann aus der EU aus. Wie sich der Austritt konkret gestalte, hänge davon ab, ob die britische Regierung das Parlament einbinden müsse.

Entscheidend für die Entwicklung in Europa sind laut Molitor der Ausgang der Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich im Frühjahr 2017. Aktuelle Prognosen gehen bei der Parlamentswahl in den Niederlanden, die im März 2017 stattfindet, von Stimmengewinnen für die europakritische Partei von Geert Wilders aus. Der Journalist rechnet zudem fest damit, dass Marine Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl im April 2017 in die Stichwahl kommt. Sollte Marine Le Pen gewinnen, wäre die EU nach Einschätzung von Molitor am Ende. Auch die Entwicklung von Italien sei unsicher. Ursachen seien die Bankenkrise und die vielen Flüchtlinge, die von Afrika nach Italien kommen.

Die negative Sicht vieler Bürger auf Europa entstehe, weil die EU weder die Staatsschuldenproblematik noch die Flüchtlingskrise politisch in den Griff bekomme. Die europaweite Verteilung der Flüchtlinge komme nicht voran und sei ein falsches Signal, konstatierte der Referent.

Molitor hält erneute Große Koalition für sehr wahrscheinlich

In Deutschland ist nach Ansicht von Molitor in 2016 durch die Anschläge von Flüchtlingen in Ansbach, Würzburg und zuletzt in Berlin politisch eine neue Situation entstanden. Seither werde die Flüchtlingspolitik in Zusammenhang mit dem Thema Innere Sicherheit diskutiert. Das nütze einerseits der Union, die Molitor laut einer aktuellen Prognose bei 37 Prozent sieht, aber ebenso der AfD, die laut der Prognose aktuell 15 Prozent der Stimmen erhielte. Da die Wählerzustimmung der SPD bei 20 Prozent liege, ist für Molitor das erneute Zustandekommen einer Großen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl im September 2017 wahrscheinlich. Eine stabile Große Koalition in Deutschland sei gut für Europa. Die AfD schätzte Molitor als europakritisch, aber nicht europafeindlich ein. In den anderen politischen Fraktionen im Bundestag überwiege die europabejahende Stimmung.

Molitor appellierte an die Anwesenden, nicht nur das zu sehen, was in der EU nicht funktioniert, sondern auch die positiven wirtschaftlichen Seiten der EU zu sehen, die hohe Zahl an Beschäftigten in Deutschland und die mit 2,6 Millionen verhältnismäßig niedrige Arbeitslosigkeit. „Wenn Europa in 2017 auf der Stelle tritt, dann ist es immer noch in Bewegung“, sagte Molitor am Ende seines Vortrags.

Den Abschluss des Neujahrsempfangs bildeten wie jedes Jahr die Sternsinger. Sie überbrachten anlässlich des Fests der Heiligen Drei Könige ihre Segenswünsche mit einem Lied.