Abgeordnete erklären, was sie von einer Amtszeitbegrenzung des Kanzlers halten
Abgeordnete erklären, was sie von einer Amtszeitbegrenzung des Kanzlers halten
Debatte über eine Amtszeitbegrenzung wird immer häufiger geführt – Abgeordnete aus dem Landkreis unterschiedlicher Ansicht
Die ersten CDU-Mitglieder positionieren sich bereits – für Armin Laschet oder für Markus Söder. Bei den Grünen gibt es ebenfalls Fans sowohl für Annalena Baerbock als auch für Robert Habeck. Doch was, wenn sich herausstellt, der Erwählte ist doch nicht der Richtige? Da werden erste Rufe nach einer Amtszeitbegrenzung laut. Eine Lösung, die auch die Abgeordneten aus dem Landkreis mitgehen würden?
Ende September steht in Deutschland die Bundestagswahl an. Zur Wahl stehen die Abgeordneten der 299 Wahlkreise, die es in Deutschland gibt. Doch mal ehrlich, eigentlich dreht sich ja schon jetzt alles nur um die Frage, wer Kanzlerkandidat wird. Der Kanzler wird zwar nicht direkt vom Volk gewählt. Es ist der Bundestag, der sich auf einen Kandidaten einigen muss.
Aber just in diese immer hitziger geführte Debatte über die Kanzlerkandidaten kommt, schwupps, Carsten Linnemann, immerhin Unionsfraktionsvize, mit einer für die CDU einigermaßen revolutionären Idee ums Eck: Der 43-Jährige, Vorsitzender der Mitelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU, regte an, die Amtszeit des Kanzlers auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen. Damit würden Parteien gezwungen, sich regelmäßig zu erneuern. Eine Idee, die übrigens auch Christian Lindner (FDP) geäußert hat. Doch hat sie auch Aussicht auf Erfolg?
Kanzler mit langer Amtszeit gab es einige. Bei Adenauer erzwang der Koalitionspartner schließlich den Rücktritt. Helmut Kohl wurde gemeinsam mit der CDU nach der dritten Amtszeit abgewählt. Doch einen Bundeskanzler wieder loszuwerden ist nicht so einfach. Er müsste entweder selbst erklären, dass er nicht mehr antreten wird (wie Merkel es jetzt tat), oder eine Mehrheit des Parlaments müsste erklären, dass sie künftig einen anderen Kanzler wünscht. Das würde aus dem Kanzler für den Rest der Amtszeit jedoch eine sogenannte „Lame Duck“ werden lassen. National oder international.
In Bayern gibt es bereits den Vorschlag seitens der Staatskanzlei in Bezug auf das Amt des Ministerpräsidenten. Dort begründete man den Vorstoß damit, dass dies ein „fundamentales Signal für mehr Demokratie, für Begrenzung von Macht“ sei. Die Wendlinger Zeitung hat dazu die Abgeordneten des Landkreises befragt.
Grübel: Staatswesen ist zu stark reguliert
Markus Grübel, Abgeordneter des Wahlkreises Esslingen, ist gegen eine gesetzliche Amtszeitbegrenzung. Durch das deutsche Grundgesetz sei die Macht eines Regierungschefs beschränkt. Dagegen stünden Erfahrung und Kontinuität, die einem Land guttäten. „Wir hatten noch nie Probleme, Kanzlerschaften demokratisch zu beenden, durch Abwahl oder Koalitionswechsel“, sagt Grübel.
Ist denn die Bundespolitik ein wenig zu bräsig? „Unser Staatswesen ist zu stark reguliert und im Laufe der Zeit schwerfällig geworden“, meint Grübel. Er hält die meisten Regelungen für sich genommen zwar für gut begründet. In Summe sei die Regulierungsdichte und Zuständigkeitsvielfalt aber zu groß. In Krisen lähme dies. „Wir brauchen eine große Reform unseres Staatswesens und eine weitere Föderalismusreform. Beispielsweise zur Pandemiebekämpfung, für den Kampf gegen Terrorgruppen und Cyberangriffe sowie für wichtige Zukunftstechnologien“, fordert der Esslinger Abgeordnete.
Auch bei Linnemanns Forderung zur Begrenzung der Amtszeit für andere Spitzenämter der Politik und für Ministerposten zeigt sich Grübel skeptisch. „Eine solche Regelung hätte Vor- und Nachteile. Für mich überwiegen die Nachteile. Warum sollen beliebte und anerkannte Persönlichkeiten wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble oder Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach zwei Wahlperioden abtreten müssen?“, ist Grübels Meinung. Er findet auch hier, dass Kontinuität Vertrauen schafft.
Während also bei Markus Grübel die Skepsis überwiegt, kann sich Matthias Gastel, Abgeordneter der Grünen im Wahlkreis Nürtingen, eine solche Regelung durchaus vorstellen. „Manches spricht dafür, nicht zu lange in bestimmten Positionen zu verbleiben, da bestimmte Ämter eine sehr hohe Belastung mit sich bringen und ein Wechsel die Chance bietet, Menschen mit neuen Ideen und voller Energie zum Zuge kommen zu lassen, etwas zu bewirken“, sagt Gastel. Indes, auch er hält eine formale Regelung, nach welcher Zeit auf welcher Position ein Wechsel zu erfolgen habe, für nicht erforderlich und nicht für sinnvoll. Amtsinhaber sowie deren Umfeld und deren Parteien sollten selber bemerken, wenn es Zeit für einen Wechsel ist. Letztlich müssten die Wähler eine Entscheidung treffen. Wann ein Wechsel erfolgen sollte, lasse sich nicht an einer konkreten Jahreszahl festmachen, sondern alleine daran, wie der Auftrag auch noch nach Jahren erfüllt werde. Das Amt sollte nicht alleine routinemäßig ausgeführt werden, sondern einer Leitidee folgen. Was sich Gastels Meinung nach gut an der grün-schwarzen Koalition im Ländle erkennen lasse.
Ganz auf einer Linie mit ihrem Parteivorsitzenden Christian Lindner befindet sich Renata Alt, FDP-Abgeordnete des Wahlkreises Nürtingen. „Eine Verkürzung der Amtszeit der Bundeskanzler auf maximal zwei Wahlperioden halte ich für sinnvoll“, sagt sie. Die Demokratie lebe vom Wechsel und der Gestaltungswille lasse mit fortlaufender Amtszeit deutlich nach. Allerdings, wie Lindner spricht sie sich dann für eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre aus, sodass die maximale Amtszeit eines Kanzlers bei zehn Jahren liegen würde.
Das hat praktische Gründe. Denn vier Jahre sind oft zu kurz, um Gesetze zuerst intensiv zu besprechen und dann auch mehrheitlich zu verabschieden. Und am Anfang stehen möglicherweise langwierige Koalitionsverhandlungen und Startschwierigkeiten der neuen Regierung. Das Ende der vier Jahre ist dann vom Wahlkampf geprägt. Ähnliches solle auch für Minister gelten. Parteien seien so gezwungen, sich permanent zu erneuern.
„Von Visionen für die Zukunft kann in der momentanen Bundespolitik keine Rede sein. Die Bundesregierung verwaltet den Status quo, statt Deutschland mit Innovationen und Investitionen zukunftsfähig zu machen“, kritisiert Alt.
Der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich zeigt sich grundsätzlich offen für eine Begrenzung der Kanzleramtszeit. „Man sollte hier aber beide Seiten sehen: Mit der Amtszeit wächst auch wertvolle Erfahrung, um Entscheidungen in einer unruhigen Welt zu treffen. Besonders in internationalen Verhandlungen, etwa auf EU-Ebene, sind Kontinuität und Erfahrung wichtige Faktoren“, sagt Hennrich. Nicht von der Hand zu weisen sei jedoch, dass ein Wechsel auch immer neue Ideen und neuen Schwung mit sich bringt. „Herausforderungen werden dann einfach auch mal anders angepackt. Auch das Interesse an Politik würde sich sicherlich mehr zum Positiven verändern“, überlegt Hennrich.
Für Ministerposten oder die Ebene der Staatssekretäre sieht der 56-Jährige jedoch keinen zwingenden Handlungsbedarf. Gerade in einem so schwierigen Ressort wie der Gesundheitspolitik sei es kein Fehler, wenn ein Minister die notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse über die „Fallstricke“ im System mitbringe, ist Hennrich überzeugt. Er ist seit 2015 Obmann im Gesundheitsausschuss im Bundestag.
Hennrich: Stehen uns manchmal selbst im Weg
Was denkt Hennrich über die Beweglichkeit und Flexibilität des Politbetriebs? „Wir sind ein Land mit guten Ideen und der Stärke, diese auch in die Realität umzusetzen. Wir stehen uns aber manchmal selbst im Weg, wir tragen Bedenken vor uns her, bis der Tag zu Ende ist und dann ärgert man sich“, meint er. „Die Coronapandemie hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, dass wir in vielen Dingen vielleicht doch zu kompliziert denken und unser ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden an der einen oder anderen Stelle auch mal im Weg stehen kann“, sagt der CDU-Abgeordnete. Ein bisschen mehr Pragmatismus, meint er, würde der deutschen Politik für die Zukunft guttun. Sehr gut lasse sich das am Beispiel Corona-Warn-App verdeutlichen: Mit Verweis auf den Datenschutz sei so viel zurechtgestutzt worden, bis sie nur noch die einfachsten Funktionen gehabt hätte. Genau das kritisierten viele Nutzer und wünschten sich zu Recht, dass sie mehr kann. Jetzt kämen nach und nach mehr Funktionen dazu, den Umweg hätte man sich also sparen können. „Auch da bleibt zu hoffen, dass wir unsere Lektionen gelernt haben“, so Hennrich.
Schmid: Man sollte dem Wähler nicht vorgreifen
Skeptisch steht Nils Schmid, SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Nürtingen, dem Vorschlag gegenüber, die Amtszeit des Kanzlers zu begrenzen. „Im Vergleich zu den USA, auf die immer Bezug genommen wird, haben wir ein anderes politisches System, in dem Parlament und Regierung nicht stringent getrennt sind“, sagt Schmid. Es gehe also eher um Parteien als um Kanzler, zumal es in Koalitionen ja auch auf den Koalitionspartner ankomme. „Hier sollte man den Wählern nicht vorgreifen, die mit ihrer Wahl darüber entscheiden, wer regieren soll“, ist Schmids Meinung.
Dass die Bundespolitik zu bräsig ist, diese Einschätzung will Schmid nicht teilen. Man sollte von einer Endphase einer langen Amtsperiode nicht auf das Gesamte schließen. „Die Bundespolitik hat viel Innovationspotenzial, das zeigt gerade auch die SPD mit ihren Konzepten wie Bürgerversicherung, Bürgergeld und Gigabitgesellschaft“, gibt er Beispiele für seine Partei. Und Politik finde immer im Jetzt statt – die beste Vision nütze nichts, wenn sie nicht umgesetzt werde.
Nicht anfreunden kann sich Schmid auch mit Carsten Linnemanns Vorschlag, die Amtszeit auch für Minister und andere Spitzenämter zu begrenzen. In der Führung von Parteien und Institutionen seien Erfahrung und Stabilität ebenfalls entscheidende Faktoren.