Nürtinger Zeitung

Corona in Seniorenheimen: Die Impf-Angst der Pflegekräfte

Corona in Seniorenheimen: Die Impf-Angst der Pflegekräfte

16.01.2021 05:30, VON MATTHÄUS KLEMKE —

Viele Pflegemitarbeiter in der Region möchten keine Corona-Impfung – Sind Prämien oder Impfpflicht die Lösung?

Seit drei Wochen sind mobile Impfteams in den Pflegeheimen der Region unterwegs. Während die Impfbereitschaft unter den Bewohnern sehr hoch ist, wollen sich überraschend viele Pflegekräfte nicht impfen lassen. Ihre Gründe sind vielfältig: Manche wollen noch abwarten, andere haben Angst vor implantierten Mikrochips.

Seit mittlerweile zwölfeinhalb Jahren lebt Sabine Lenart im Pflegeheim Daheim in Unterensingen. „Ich bin keine Bewohnerin, ich gehöre schon zum Inventar“, sagt Lenart. Ihren Humor hat sich die 52-Jährige behalten – auch, wenn es für sie und die anderen Bewohner im vergangenen Jahr wenig Grund zur Freude gab: „Wir haben keinen Besuch mehr bekommen, konnten selbst nicht vor die Tür. Ich war im letzten Jahr kein einziges Mal einkaufen“, sagt Lenart. Mit dem Corona-Impfstoff kam auch die Hoffnung auf ein Stück Normalität in die Einrichtung.

Interview

Hausarzt Ralph Staffa beantwortet Fragen zur Corona-Impfung

Muss ich vor Nebenwirkungen Angst haben, wenn ich mich impfen lasse?
Schwellung und Rötung und eventuell leichte Temperatur. Dies ist bei allen bekannten Impfungen ähnlich.

Ist die Angst vor Spätfolgen berechtigt?
Die Frage kann noch nicht endgültig beantwortet werden. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass es keine Spätfolgen geben wird.

Wieso werden zwei Impfdosen benötigt?
Durch die Impfung wird der Körper angeregt, Antikörper gegen den Eindringling zu produzieren. Die zweite Impfung führt dazu, dass dies in erheblich stärkerem Maße vorangeht.

Wird bei der Corona-Impfung ein Teil des Virus injiziert?
Nein, es werden keine Viren (weder lebend oder abgetötet) oder Bestandteile (wie bei der Grippeimpfung) verabreicht, sondern es wird durch die verabreichte mRNA die Information zur Herstellung von Antigenen vermittelt. Der Körper erkennt dies als fremd und es erfolgt eine Immunantwort.

Wie konnte ein Corona-Impfstoff so schnell zugelassen werden?
Erstens ist aufgrund der großen Bedeutung sehr viel Geld in die Entwicklung gesteckt worden. Zweitens gab es zu den mRNA-Impfstoffen schon Erkenntnisse. Drittens wurde nach dem Rolling-review-Verfahren gearbeitet. Das heißt, es werden bereits Daten verwertet, obwohl noch nicht alle erforderlichen Daten vorhanden sind. Das bedeutet eben auch ein schnelleres Verfahren.

Kann ein Geimpfter das Virus trotzdem weitergeben?
Ein Geimpfter baut einen Schutz für sich auf. Vorhandene Viren könnten aber trotzdem noch übertragen werden, zum Beispiel durch Husten.

Seit dem 27. Dezember ist das mobile Impfteam des Klinikums Stuttgart in den Pflegeheimen im Landkreis unterwegs. Bislang hat man rund 25 Einrichtungen besucht und 1200 Impfungen vorgenommen. Darunter auch im Unterensinger Pflegeheim.

„Ich dachte nur: ,Juhu! Endlich gehts los‘“, sagt Sabine Lenart, die auch Vorsitzende des Heimbeirats ist. Die Frage, ob sie sich überhaupt impfen lassen möchte, hat sich für sie nicht gestellt: „Es gibt doch keine andere Möglichkeit, wenn wir unser altes Leben zurückhaben möchten.“

Die Erleichterung über den Impfstart war „riesig“, so Lenart. „Ich habe die Bilder und Berichte im Fernsehen gesehen. Und dann die vielen Toten. Ich möchte mich und die anderen unter allen Umständen schützen.“ Die erste Spritze hat sie bereits bekommen. Die zweite Injektion folgt in zwei Wochen. „Es ist absolut Pillepalle. Ich habe so gut wie nichts gespürt und es gab auch keinerlei Nebenwirkungen.“

Es gibt kaum einen der 44 Bewohner im Unterensinger Pflegeheim, der sich nicht impfen lassen möchte. „Wir haben eine Impfbereitschaft von über 90 Prozent“, sagt Heimleiter Anton Lechinger: „Die Leute haben einfach Angst vor dieser Krankheit.“

Anders sieht es beim Personal aus. Knapp unter 70 Prozent der Pflegeangestellten seien bereit, sich gegen das Covid-Virus impfen zu lassen. „Ich kann es nicht verstehen“, sagt Lechinger. Dass manche Menschen keine Verantwortung übernehmen wollen, mache ihn „sauer“. „Jeder hat jetzt die Chance, etwas zu tun. Das habe ich fast schon gebetsmühlenartig gepredigt.“ Trotz vieler Aufklärungsgespräche ließen sich einige Mitarbeiter nicht zu einer Impfung überreden.

Welche Argumente die Skeptiker vorbringen? „Da kommt nichts handfestes“, sagt Lechinger. „Meist sind es irgendwelche Ängste.“ Um seine Mitarbeiter doch noch von einer Impfung zu überzeugen, hat der Chef sogar schon über eine Impfprämie nachgedacht. „Aber ich möchte keine Zwei-Klassen-Gesellschaft.“

Abhilfe schaffen könnte eine Impfpflicht für Pflegekräfte, wie sie der bayrische Ministerpräsident Markus Söder ins Spiel gebracht hat, sagt Lechinger: „Ich würde es gut finden. Es wäre auch aus ethischer Sicht vertretbar.“

Vor einer ähnlichen Herausforderung wie Anton Lechinger stehen auch andere Heimleiter im Landkreis. Das bestätigen auch die Impfteams des Klinikums Stuttgart: „Die Impfbereitschaft bei den Bewohnern ist sehr groß. Bei den Mitarbeitern der Pflegeeinrichtungen gibt es große Unterschiede. In einigen Pflegeheimen zögern die Mitarbeiter noch, in anderen lässt sich die gesamte Belegschaft impfen“, so Klinikum-Pressesprecher Stefan Möbius.

Von einer Impfquote von 70 Prozent unter den Mitarbeitern wie in Unterensingen sind einige Pflegeheime im Kreis weit entfernt. Im Wendlinger Seniorenzentrum Taläcker haben sich weniger als die Hälfte der 84 Mitarbeiter impfen lassen, aber fast jeder der 90 Bewohner. „Das ist schon traurig“, sagt Einrichtungsleiter Bernhard Slenzka. Die Geschäftsführung hat einen Appell an die Mitarbeiter gerichtet. Eine Impfpflicht hält Slenzka aber für gefährlich: „Das könnte die Personalnot in der Branche verschärfen.“

Das Dr.-Vöhringer-Heim in Nürtingen war das erste Pflegeheim im Landkreis, in dem Impfungen verabreicht wurden. Zunächst konnten nur 50 Personen geimpft werden, die Nachfrage unter den 140 Bewohnern ist aber sehr viel höher, sagt Pflegedienstleiter Daniel Frey: „90 Prozent unserer Bewohner möchten sich impfen lassen. Diejenigen, die es nicht wollen, kann ich an einer Hand abzählen.“

Auch hier sieht es unter den Mitarbeitern anders aus. „Da haben wir einen Querschnitt der Bevölkerung“, sagt Frey. Von Argumenten wie „Ich möchte erst einmal abwarten“, bis hin zu „Ich glaube nicht an Corona“, sei eigentlich alles vertreten. Ob man versucht, diese Leute zu überzeugen? „Naja, wer mal mit Querdenkern gesprochen hat, weiß, dass das nicht so einfach ist“, sagt Frey.

Fast 200 infiziert in den Pflegeheimen im Landkreis

Dass sich gerade im Pflegebereich viele Mitarbeiter nicht impfen lassen wollen, stößt bei vielen Heimleitungen auf Unverständnis. Auch im Landkreis Esslingen gelten Pflegeheime als Corona-Hotspots. Laut Landratsamt gibt es derzeit 195 positive Fälle in 13 Einrichtungen (Stand Montag). Im Dr.-Vöhringer-Heim sind derzeit 25 Bewohner und drei Mitarbeiter infiziert. Nun hofft man, dass die restlichen Impfwilligen schnell zum Zuge kommen: „Es wäre schön, wenn es schneller gehen würde“, sagt Daniel Frey. Doch einen neuen Impftermin gibt es noch nicht. „Darunter leidet natürlich die Motivation vieler Mitarbeiter. Wenn wir wüssten, wann es weitergeht, würde das die Anspannung nehmen.“

Während in einigen Heimen die Impfungen zumindest schon angelaufen sind, müssen andere noch auf einen Besuch des Impfteams aus Stuttgart warten. „Die Nachfrage nach Impfungen ist derzeit deutlich höher als das Impfstoffangebot“, sagt Stefan Möbius vom Klinikum Stuttgart. „Zum Start der kommunalen Impfzentren im Landkreis Esslingen, voraussichtlich zum 22. Januar, werden zusätzliche Mobile Impfteams die Alten- und Pflegeheime im Landkreis Esslingen anfahren“, so Möbius.

Im Nürtinger Pasodi-Pflegeheim wartet man seit Tagen auf eine Rückmeldung vom Impfzentrum: „Man hat uns vor Weihnachten viel Druck gemacht, um die Einverständniserklärungen der Bewohner einzusammeln und abzuschicken“, sagt Einrichtungsleiter Nenad Puntaric: „Angehörige und Betreuer haben zwischen den Feiertagen ordentlich Gas gegeben, aber bis jetzt haben wir nichts vom Impfzentrum gehört. Wir wissen nicht, wann die Impfungen bei uns stattfinden werden.“

Auch im Pasodi-Seniorenheim möchten sich die meisten Bewohner unter allen Umständen gegen das Covid-Virus schützen. Von den 77 älteren Menschen haben bereits 59 ihr Einverständnis gegeben. Beim Personal sei die Zahl der positiven Rückmeldungen „nicht zufriedenstellend“, sagt Puntaric. Im Dezember hatten sich lediglich 15 der insgesamt 100 Angestellten bereiterklärt, sich impfen zu lassen. „Mittlerweile haben es sich einige Angestellte noch einmal überlegt. Jetzt sind wir bei circa 30 Mitarbeitern.“ Immer noch zu wenig, sagt der Heimleiter: „Ich merke, dass viele einfach falsch informiert sind“, erklärt Puntaric die Zurückhaltung: „Sie lesen im Internet auf unseriösen Seiten Dinge und haben dann eine falsche Vorstellung.“ Hier sieht Puntaric vor allem die Bundesregierung in der Verantwortung: „Es fehlt eine Aufklärungskampagne.“

In der Einrichtung selbst versucht man den Falschmeldungen so gut es geht entgegenzuwirken: „Wir verweisen auf seriöse Internetseiten, verteilen Infomaterial und führen Einzelgespräche“, so Puntaric. Von einer Impfpflicht für das Pflegepersonal hält er nichts: „Was wäre eine mögliche Konsequenz? Dass die Leute den Job hinschmeißen.“ Statt Druck aufzubauen, sollte man Überzeugungsarbeit leisten, sagt der Einrichtungsleiter.

Eine besondere Art der „Überzeugungsarbeit“ hat sich BeneVit-Geschäftsführer Kaspar Pfister einfallen lassen. Die BeneVit-Gruppe betreibt 26 Pflegeeinrichtungen in ganz Deutschland, darunter auch das Haus Steinach in Frickenhausen. „Wir haben bereits Ende letzten Jahres erhoben, wie viele Bewohner und Mitarbeiter bereit sind, sich impfen zu lassen“, so Pfister: „Schon damals hatten wir die Befürchtung, dass die Impfbereitschaft unter den Mitarbeitern gering ausfallen wird. Leider hat sich diese Befürchtung bestätigt.“

Nur rund 30 Prozent der insgesamt 2000 BeneVit-Mitarbeiter haben sich bisher impfwillig gezeigt. Im Haus Steinach in Frickenhausen sind es 17 von 50 Mitarbeitern. „Da macht man sich natürlich Gedanken. Man weiß ja, wie wichtig es ist, sich impfen zu lassen. Es kommt auf jeden Einzelnen von uns an, damit wir dieses verdammte Virus besiegen“, sagt Pfister.

Erst die Impfung, dann der Eierlikör

Der BeneVit-Chef wollte „mit Augenzwinkern und einem Schuss Humor“ an die Sache herangehen. Deshalb bekommt jeder Mitarbeiter, der sich impfen lässt, zur Belohnung eine Flasche Eierlikör geschenkt. „Zuerst haben nur die Bewohner nach der Impfung ein Glas Eierlikör bekommen. Das Getränk ist in der Altersgruppe ja sehr beliebt“, sagt Pfister: „Aber dann wollten die Mitarbeiter auch etwas.“ Allerdings hielt man es für keine gute Idee, dass das Pflegepersonal im Dienst Alkohol trinkt. „Deshalb gibt‘s eine Flasche für zu Hause.“

Eine Prämie gibt es aber nicht nur in Form von Alkohol. Kaspar Pfister hat alle Einrichtungen zu einer Art Impf-Wettbewerb aufgerufen: Jede Einrichtung, in der sich mindestens 60 Prozent der Belegschaft impfen lässt, bekommt einen Bonus von 1000 Euro. „Damit können die Häuser dann Ausflüge oder Feste für die Bewohner finanzieren.“

Ob die Aktion Früchte trägt, könne man derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen. „Aber es gab schon einige Rückmeldungen. Von der Hausleitung bis zur Reinigungskraft wollen Leute dabei helfen, sich die 1000 Euro zu sichern“, sagt Pfister. Einen solchen Anreiz hält er für sehr viel sinnvoller als eine Impfpflicht: „Wir brauchen Aufklärung und Information, keinen Zwang.“

Auch bei den DRK-Seniorenzentren hält man recht wenig von einer Impfpflicht: „Diese ganze politische Diskussion ist nicht gerade hilfreich, um das Vertrauen in die Impfung zu steigern“, sagt Stefan Wiedemann, Geschäftsführer der DRK-Einrichtungen, zu denen unter anderem das Haus am Schönrain in Neckartenzlingen, der Fickerstift in Kirchheim und das Haus im Park in Wendlingen gehören.

Insgesamt 400 Angestellte arbeiten in den Heimen. Die Zahl der Impfwilligen schwankt von Haus zu Haus. „Die Höchstbereitschaft liegt bei 80 Prozent, der niedrigste Wert bei 50 Prozent“, so Wiedemann. Die Gründe gegen eine Impfung seien bei den Pflegekräften sehr unterschiedlich: „Es gibt junge Frauen, die Angst vor Unfruchtbarkeit haben.“ Andere Argumente seien weniger plausibel: „Es gib auch Leute, die Angst haben, dass ihnen ein Nano-Chip eingepflanzt wird.“ Eine Impfpflicht sei „Wasser auf die Mühlen der Skeptiker“, sagt Wiedemann.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß hat jetzt Prämienzahlungen an impfwillige Angestellte in der Pflege angeregt. Sein Parteikollege und Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich hält davon nichts: „Zum einen sollte man einzelne Berufsgruppen nicht bevorteilen“, so der Gesundheitspolitiker: „Und zum anderen untergräbt eine Impfprämie das Prinzip der Freiwilligkeit.“

Eine Impfpflicht lehnt Hennrich kategorisch ab: „Das Pflegepersonal ist in dieser Zeit herausragend gefordert. Eine Impfpflicht als Dankeschön wäre sicherlich kein kluges Zeichen.“ Mit einer gewissen Unsicherheit unter der Bevölkerung habe man gerechnet. „Wir billigen jedem Menschen Skepsis zu. Das müssen wir auch beim Pflegepersonal tun“, so Hennrich.