Nürtinger Zeitung

Feuer in Nürtinger Schafstraße: OB Fridrich rügt Mieterbund – Dessen Chef zeigt sich überrascht und enttäuscht

Feuer in Nürtinger Schafstraße: OB Fridrich rügt Mieterbund – Dessen Chef zeigt sich überrascht und enttäuscht

20.11.2020 05:30, VON MATTHÄUS KLEMKE —

Nach Brand in der Schafstraße: Im Internet reagiert Nürtingens OB Johannes Fridrich auf die Vorwürfe des Deutschen Mieterbundes

Nach den Vorwürfen des Deutschen Mieterbundes, die Stadt Nürtingen habe nichts gegen die prekären Mietverhältnisse in der Schafstraße unternommen, reagiert nun Oberbürgermeister Johannes Fridrich in einem offenen Brief und wirft dem Verein unter anderem vor, der Stadt fahrlässige Tötung unterstellen zu wollen. Lesen Sie auch den Kommentar zum Artikel „Die richtigen Fragen“.

NÜRTINGEN. Die Brände in der Schafstraße, bei denen zwei Menschen ums Leben gekommen sind, hätten womöglich verhindert werden können – heißt es in einem Brief des Deutschen Mieterbundes (DMB) Esslingen-Göppingen vom 12. November an den Nürtinger Oberbürgermeister.

Es sei unverständlich, warum die Stadt Nürtingen trotz Hinweisen auf Überbelegung, Mängeln des Brandschutzes, defekter Elektroinstallationen, Ungezieferbefall und Vermüllung nicht tätig wurde, so die Vorwürfe des DMB-Vorsitzenden Udo Casper. In dem Schreiben, das unsere Redaktion am Dienstag erreichte, heißt es außerdem, dass es Hinweise auf weitere Unterkünfte in Nürtingen gebe, in denen aktuell Menschen unter ähnlichen Umständen leben müssen, wie in den Wohnungen in der Schafstraße.

Auf Anfrage unserer Zeitung stand OB Fridrich am Dienstag aus terminlichen Gründen nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung. Stattdessen hat er nun einen offenen Brief an Udo Casper und den Mieterbund auf Facebook veröffentlicht. Darin behauptet Fridrich, die Kritik des Vorsitzenden sei „doppelt problematisch“. Erstens sei die Brandursache noch immer nicht geklärt. Ob es Brandmelder gab, müsse noch geprüft werden. „Schuldzuweisungen helfen niemandem, wir sollten die Sachverhaltsaufklärung der Polizei überlassen“, so Fridrich.

Zweitens sei es „unseriös, juristisch problematisch und ein Stück weit populistisch, aus Medienberichten und vom Hörensagen solche gravierenden Vorwürfe gegen die Stadt zu erheben, die ja eine fahrlässige Tötung nahelegen. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, diese in keiner Weise mit Tatsachen unterlegten Vorwürfe zukünftig zu unterlassen“, so Fridrich weiter.

Auch der Vorwurf, das Ordnungsamt hätte die Miethöhe in der Schafstraße 2 und 4 nicht geprüft, „wundert“ Fridrich. Immerhin liegen der Stadt keine Informationen über zu hohe Mieten in den Brandhäusern vor.

In seinem Brief zieht der OB zudem den Mieterbund selbst in die Verantwortung. Liegen dem DMB tatsächlich Hinweise über Unterkünfte in Nürtingen vor, in denen Zimmer zu überhöhten Preisen vermietet werden und in denen die Gesundheit und Sicherheit der Bewohner gefährdet sind, hätte man sich früher an die Stadt wenden müssen: „Was mich indes wundert, ist, dass Sie sich vor dem Brand nie bei der Sozialbürgermeisterin oder mir mit Ihren Beobachtungen gemeldet oder den Sachverhalt angezeigt haben“, so Fridrich an Casper: „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie sich der Sozialbürgermeisterin oder mir einmal im Nürtinger Rathaus vorgestellt hätten. Dann hätten wir über alle Themen in Ruhe sprechen können.“

Fridrich kritisiert „Stil und Art“ der Kontaktaufnahme

Stattdessen sei die Kontaktaufnahme „unglücklich“ gewesen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Stil und diese Art im Interesse der Mitgliederinnen und Mitglieder des Deutschen Mieterbundes ist“, schreibt Fridrich.

Als wir Udo Casper um eine Antwort auf das Schreiben des Oberbürgermeisters bitten, reagiert der Vorsitzende überrascht. Den an ihn persönlich gerichteten Brief habe er selbst nie erhalten. Offensichtlich sei das Schreiben im Internet erschienen. „Bevor wir unseren Brief veröffentlicht haben, haben wir ihn dem OB persönlich zukommen lassen, damit er genügend Zeit hat, darauf zu reagieren“, so Casper: „Offensichtlich bevorzugt Herr Fridrich einen anderen Stil.“

Auch vom Inhalt des Briefes ist Casper enttäuscht: „Das Schreiben ist weder sachlich noch geht es um die Sache selbst. Herrn Fridrich geht es nur darum, den Mieterbund und seinen Vorsitzenden persönlich anzugreifen.“ Casper ist erstaunt darüber, dass der OB versuche, einem Verein die Mitschuld in dem Fall zu geben: „Wenn es eine Stadt mit hauptamtlichen Kräften nicht schafft, ihren Hausstand zu kontrollieren, wie soll das ein Verein mit ehrenamtlichen Mitarbeitern im gesamten Landkreis schaffen?“

Die Aussage Fridrichs, die Stadt habe keine Informationen über die Miethöhe der Brandhäuser, könne als Entschuldigung nicht gelten: „Wenn eine Stadt Hinweise auf Wuchermieten hat, muss sie das überprüfen. Vielleicht gab es vor dem Brand solche Hinweise nicht, aber jetzt gibt es sie.“

Als „fast schon witzig“ empfindet Casper das Argument, er selbst hätte im Rathaus vorstellig werden können. „Der Mieterbund hat seit fast 20 Jahren eine Beratungsstelle in Nürtingen. Wir haben auch an dem qualifizierten Mietspiegel für die Stadt mitgearbeitet. Wir sind also keine unbekannte Organisation in der Stadt.“

Casper möchte auf das Schreiben des Nürtinger Rathauschefs antworten. „Aber das wird dann zunächst an ihn persönlich gehen, mit genügend Zeit zu antworten.“

Der DMB-Vorsitzende bestärkt nochmals die Forderung des Mieterbundes nach einem Wohnraumaufsichtsgesetz, durch das Kommunen mehr Möglichkeiten hätten, Wohnungen zu kontrollieren. Die Kritik des CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich, ein solches Gesetz stelle einen zu großen Eingriff in die Privatsphäre dar, sei unbegründet: „Es geht nicht darum, jede Wohnung zu kontrollieren, sondern diejenigen, in denen es Hinweise auf Mängel gibt.“

„Bürger sind über den Missbrauch der Überbelegung bestürzt“

Regina Birner, SPD-Landtagskandidatin

Nun fordert auch Regina Birner, SPD-Landtagskandidatin im Wahlkreis Nürtingen, eine solche Regelung: „Städte und Gemeinden brauchen ausreichend Möglichkeiten, um Mietwucherei durch Überbelegung zu verhindern.“ Die Todesfälle in der Schafstraße machten sie tief betroffen: „Zu Recht sind die Bürger über den Missbrauch der Überbelegung bestürzt.“

Auch sie kontert die Kritik des CDU-Abgeordneten Hennrich. Ein solches Gesetz sei kein „Freifahrschein“ für eine Beschränkung des Eigentums, „auch wenn ,Haus und Grund‘-Vorsitzender Michael Hennrich das so darstellt“. Birner zieht außerdem den Landkreis und das Jobcenter in die Verantwortung: „Der Landkreis und das Jobcenter müssen bei der Wohngeldbemessung den Wahrheitsgehalt der eingereichten Mietverträge überprüfen und bei falschen Angaben gegen den Vermieter vorgehen können.“