Nürtinger Zeitung

Feuer in der Schafstraße: Mieterbund erhebt Vorwürfe gegen Stadt Nürtingen

Feuer in der Schafstraße: Mieterbund erhebt Vorwürfe gegen Stadt Nürtingen

18.11.2020 05:30, VON MATTHÄUS KLEMKE —

Nach dem verheerenden Brand in der Nürtinger Schafstraße fordert der Deutsche Mieterbund Esslingen-Göppingen Konsequenzen

Nach dem Brand in der Nürtinger Schafstraße mit zwei Toten erhebt der Deutsche Mieterbund Esslingen-Göppingen schwere Vorwürfe gegen die Stadt Nürtingen und fordert eine gesetzliche Grundlage, um Wohnungen kontrollieren zu können. Es brauche transparente und konkrete Regelungen, um solche Unglücke in Zukunft zu verhindern.

NÜRTINGEN. „Das Brandunglück, das zwei Todesopfer forderte, ist auch deshalb tragisch, weil es womöglich hätte verhindert werden können“, heißt es in einer Pressemitteilung des Mieterbundes. Es habe Hinweise, auch vonseiten der Polizei gegeben, dass die Sicherheit der Bewohner gefährdet ist. Es seien eine Überbelegung, Mängel des Brandschutzes, defekte Elektroinstallationen, Ungezieferbefall und Vermüllung reklamiert worden. Die Tatsache, dass zwei Bewohner an einer Rauchvergiftung gestorben sind, lasse zudem den Verdacht aufkommen, dass Rauchwarnmelder, die seit 2014 durch die Landesbauordnung vorgeschrieben sind, nicht installiert waren.

„Den Städten stehen öffentlich-rechtliche Befugnisse zur Verfügung, um gegen Missstände, die durch Verwahrlosung, Vernachlässigung und durch Überbelegung von Wohnraum entstehen, wirksam vorgehen zu können“, erklärt Udo Casper, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Esslingen-Göppingen. Es ist unverständlich, warum die Stadt Nürtingen aufgrund des Bauordnungs-, Gesundheits- und allgemeinen Sicherheitsrechts nicht tätig wurde, um Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Bewohner abzuwenden, schrieb Casper an Oberbürgermeister Johannes Fridrich der Stadt Nürtingen.

Hinweise auf weitere Wohnungen in prekärem Zustand

In dem Schreiben an den OB ist auch die Rede von weiteren Häusern und Wohnungen in Nürtingen, die unter ähnlichen Umständen vermietet werden wie die Brandhäuser: „Es gibt Berichte, wonach es in Nürtingen weitere Objekte gibt, die wie die Wohnungen in der Schafstraße, zu überteuerten Mietpreisen an die Bezieher von Transferleistungen vermietet werden. Wie in der Schafstraße sollen auch in diesen Objekten notwendige Instandhaltungsmaßnahmen nicht erfolgen. Die Gesundheit und Sicherheit der Bewohner sollen auch in diesen Objekten gefährdet sein.“ Die Stadtverwaltung Nürtingen solle mitteilen, ob solche Immobilien bekannt sind und mit welchen Maßnahmen die Stadt ein erneutes Unglück verhindern will.

Auf Anfrage unserer Zeitung wollte die Stadt derzeit keine Stellungnahme zu den Vorwürfen und Forderungen abgeben: „Natürlich werden wir darauf reagieren“, so die Bürgermeisterin Annette Bürkner: „Wir müssen uns aber zunächst mit den Vorwürfen auseinandersetzen und sie genau prüfen. Das sind wir der Sache schuldig.“

Doch bereits in seinem „Brief des Oberbürgermeisters“, der gestern in der NTZ abgedruckt war, spricht sich Fridrich für ein Wohnraumaufsichtsgesetz aus. Damit soll sichergestellt werden, dass Menschen eine Mindestquadratmeterzahl für Wohnraum bekommen. Eine solche Regelung gebe es in anderen Bundesländern bereits. „Die möchte ich auf der politischen Ebene über den Städtetag und über unseren Landtagsabgeordneten anstoßen“, so Fridrich.

Auch der Mieterbund drängt auf ein solches Gesetz. „Es darf nicht hingenommen werden, dass verantwortungslose Vermieter die Notlage von Mietern missbrauchen, indem sie Wuchermieten verlangen und ihre Rendite noch steigern, indem sie notwendige Investitionen in die Instandhaltung der Immobilie nicht vornehmen. Leistungslose Profite auf Kosten der Gesundheit und der Sicherheit der Bewohner müssen ausgeschlossen werden“, so Casper. Deshalb sollten die Befugnisse der kommunalen Wohnaufsicht nach dem Vorbild anderer Bundesländer mit einem Landesgesetz zur Wohnaufsicht ergänzt werden.

Dieses Wohnaufsichtsgesetz müsse zunächst definieren, was eine menschenwürdige Wohnung ausmacht. „Es muss eine Mindestwohnfläche pro Bewohner festgelegt werden. Eine ausreichende natürliche Belüftung und Belichtung müssen gewährleistet sein. Die Wohnung muss Schutz gegen Witterungseinflüsse und Feuchtigkeit bieten. Die Wohnungsausstattung muss funktionsfähig und nutzbar sein. Zumindest bei begründetem Verdacht muss im Interesse der Bewohner und der Allgemeinheit die Möglichkeit zur Prüfung der Sicherheit und der menschenwürdigen Unterbringung gegeben sein.“ Werden festgestellte Mängel nicht beseitigt, müsse die Nutzung des Gebäudes untersagt werden können.

„Es gibt in Nürtingen und anderen Städten Wohngebäude, die in einem vergleichbaren prekären Zustand, der in der Schafstraße in Nürtingen zur Katastrophe geführt hat, sind. Es ist klar, dass ein Gesetz allein diese Missstände nicht beseitigt. Es ist notwendig, dass die Städte mit kompetenten Mitarbeitern den Wohnungsbestand überwachen und dem Gesetz Geltung verschaffen“, sagt Casper.

Hennrich warnt vor Eingriff in die Privatsphäre

Michael Hennrich, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Nürtingen und Landesvorsitzender des Eigentümervereins Haus und Grund, warnt vor solch einem Wohnungsaufsichtsgesetz: „Ich halte solch einen Eingriff in die Unversehrtheit der Wohnungen und in die Privatsphäre für hochgradig gefährlich.“ Eine solches Gesetz gebe einer Kommune das Recht, jederzeit in die Wohnung zu kommen. „Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um das neue Infektionsschutzgesetz sollte man mit Forderungen nach staatlichen Kontrollen sehr vorsichtig sein“, so Hennrich. Mit der Rauchmelderpflicht und den baurechtlichen Vorschriften habe man bereits ausreichend gesetzliche Vorgaben. „Nur an der Umsetzung hapert es manchmal.“

Derweil ist noch immer nicht geklärt, warum die beiden Häuser in der Schafstraße in Brand standen. Die Ermittlungen hat eine 19-köpfige Sonderkommission der Polizei übernommen. In der Nacht vom 2. November stand das Haus in der Schafstraße 2 in Flammen. Einen Tag später brannte plötzlich das Nachbarhaus. Laut Feuerwehr war das zweite Feuer unabhängig vom ersten ausgebrochen.