„Schwierigste ethische Fragen“
„Schwierigste ethische Fragen“
Der Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich sieht mittlerweile funktionierende Lieferketten bei der Beschaffung von Masken
Schutzausrüstung für Krankenhäuser Pflegeheime und Ärzte – da gab und gibt es erhebliche Defizite. Wir fragten den CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich, Obmann im Gesundheitsausschuss, warum es der Regierung so schwerfiel, diese Güter zu besorgen. Hennrich äußerte sich im Interview ebenso zur sogenannten Triage.
Herr Hennrich, stimmt es, dass die USA uns mit besseren Konditionen Atemschutzmasken vor der Nase weggeschnappt haben, obwohl Deutschland rechtsgültige Verträge abgeschlossen hatte? Es soll schon Ware auf dem Rollfeld gekapert worden sein – Ministerpräsident Kretschmann nannte dies „Wildwest-Methoden“. Was halten Sie davon?
Davon wurde verschiedentlich berichtet, dann wieder dementiert. Aus der Ferne lässt sich nur sehr schwer beurteilen, was da genau passiert ist und ob offizielle Stellen beteiligt waren. An solchen Spekulation will ich mich nicht beteiligen. Keine Zweifel gibt es, dass es Glücksritter gab, die mit der Krise das große Geld verdienen wollten. Und die gab und gibt es leider überall auf der Welt. In China, USA und leider auch bei uns in Deutschland.
Der Markt für Schutzausrüstung ist überhitzt. Warum hat Deutschland noch bis vor Kurzem bei Verhandlungen auf den üblichen Konditionen wie keine Anzahlung, Zahlung erst 30 Tage nach Erhalt der Ware und Ähnliches bestanden? Auch jetzt noch soll das Zahlungsziel bei zehn Tagen liegen. Wenn weltweit mit harten Bandagen um Schutzausrüstung gekämpft wird, ist Deutschland zu zaghaft?
Das Problem der ersten Wochen war, dass es wenig Angebot und eine extreme Nachfrage gab. Das führte dazu, dass Verkäufer nicht nur den Preis, sondern auch Lieferbedingungen diktieren wollten. Auf dieses Spiel wollten wir uns nicht einlassen, weil es mit viel Unsicherheit verbunden war. Es war ja tagtäglich den Medien zu entnehmen, wer wann welchen Betrügern auf den Leim ging und dann hohe Summen in den Sand gesetzt hat. Unser Ziel war es, Masken zu fairen Konditionen auf sicheren Lieferwegen zu beziehen. Das hat uns extrem viele Nerven gekostet – ich selbst habe Dinge erlebt, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Mittlerweile haben wir in Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen funktionierende Lieferbeziehungen aufgebaut. Auch viele Initiativen kleinerer und mittlerer Unternehmen haben dazu beigetragen.
Diskutiert wird derzeit ja auch die sogenannte Triage – also die Priorisierung medizinischer Hilfeleistung. Wer wird beatmet? Wer nicht? Werden sich Ärzte in Deutschland (wie beispielsweise in Frankreich schon geschehen) angesichts der Corona-Epidemie diesen Fragen stellen müssen?
Die Coronakrise führt dazu, dass wir uns mit schwierigsten ethischen Fragen befassen und auseinandersetzen müssen. Ist es gerechtfertigt, die Wirtschaft in dieser Form zum Stillstand zu bringen, um Menschenleben zu retten? Als Politiker habe ich erleben müssen, dass es auch dazu sehr unterschiedliche Meinungen gab. Und natürlich haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, ob wir an einen Punkt kommen würden, wo wir behandelnden Ärzten oder Pflegekräften eine solche Entscheidung zumuten. Das wollten und mussten wir vermeiden. Wir haben in Deutschland ja zu einem frühen Zeitpunkt alles Erdenkliche getan, um nicht in eine solche Situation zu kommen: Ziel war es, die Ausbreitung des Virus zu verzögern, um mehr Behandlungskapazitäten aufzubauen. Bisher hatten wir ja ganz ordentlichen Erfolg damit. Deshalb – bei allen Schwierigkeiten, die wir hatten – liefen Menschen in Deutschland zu keinem Zeitpunkt Gefahr, mit einer Covid-19-Erkrankung nicht behandelt zu werden.
Da aber niemand sicher abschätzen kann, wie sich die Ausbreitung des Virus weiterentwickelt, war und ist es vernünftig, solche Szenarien durchzuspielen. Die entsprechenden Gremien, die eine entsprechende Legitimation haben, Hilfestellungen zu geben, haben sich damit ja befasst und Leitfäden zur Diskussion gestellt. Was wichtig ist: Am Ende müssen das die Verantwortlichen vor Ort entscheiden. Gesetze verbieten sich – das hat ja zum Glück auch das Bundesverfassungsgericht hinreichend deutlich gemacht.
Manche Juristen halten diese Vorrang-Entscheidung für Totschlag. Auch der Ethikrat bezweifelt die Rechtmäßigkeit. Was denken Sie?
Menschen, die in Behandlung sind und deren Behandlung abgebrochen wird, um ein anderes Menschenleben zu retten, fallen nach meiner juristischen Auffassung unter die Strafrechtskategorie Totschlag. So was darf es nicht geben und so etwas wird es hoffentlich nie geben. In allen anderen Fällen urteilt unsere Rechtsprechung mit dem erforderlichen Augenmaß.
Welche Kriterien gibt es oder sollte es geben, um die Triage anzuwenden?
Die Triage ist ja eine Kategorie, die wir von großen Katastrophenfällen her kennen. Maßgeblich ist da in erster Linie der mögliche Behandlungserfolg. Leider haben wir ja in Italien, Spanien, Frankreich ganz konkret erleben müssen, dass die Coronakrise zu solchen Entscheidung geführt hat und die Kriterien aus einem Katastrophenszenario dann auch tatsächlich in den meisten Fällen herangezogen wurden. Jeder zusätzliche Tag, den wir in dieser Krise gewinnen, ist Zeit, um neue Behandlungskapazitäten aufzubauen. Nur so können wir am Ende eine Priorisierung vermeiden. Ich gehe davon aus, dass wir uns in Deutschland mit dieser Frage nicht mehr auseinandersetzen müssen.
Wenn doch, hält die Gesellschaft diese Frage aus?
Wie schwierig das ist, haben wir ja in der täglichen Berichterstattung erlebt. Das bringt jede Gesellschaft an ihre Grenzen und das will man keinem Menschen zumuten. Wir sind auf einem guten Weg, das zu vermeiden.
Was halten Sie von einer palliativen Sterbebegleitung zu Hause für Patienten, für die es keine Heilungschancen gibt? Wären die ambulanten Palliativ-Strukturen (vor allem auch im Landkreis Esslingen) darauf vorbereitet? Gibt es genügend Hausärzte, die Erfahrung in Palliativversorgung haben?
Es ist gut, dass wir in Deutschland die Voraussetzung für eine gute Palliativbegleitung schon vor einigen Jahren aufs Gleis gesetzt haben und jetzt nicht hektisch nachsteuern müssen. Mein Eindruck ist, dass wir im Landkreis Esslingen gute und funktionierende Strukturen haben.