Nürtinger Zeitung

„Es wird wieder diskutiert“

„Es wird wieder diskutiert“

07.03.2019, VON PHILIP SANDROCK —

CDU-Bundestagsabgeordneter Michael Hennrich im Gespräch

Die CDU hat ein bewegtes Jahr 2018 hinter sich – Koalitionsstreit, Stimmenverluste bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen und ein Führungswechsel prägten das vergangene Jahr. Jetzt sieht der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich die Union wieder in ruhigerem Fahrwasser – auch in der Regierung, obwohl dort derzeit die SPD die Themen setzt.

UNTERENSINGEN. Politischer Aschermittwoch lokal: der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich hatte am Mittwochmittag nach Unterensingen eingeladen, um mit Pressevertretern über die politische Arbeit in Wahlkreis und in Berlin zu sprechen.

Nach den Wirrungen in der Bundespolitik im vergangenen Jahr habe die große Koalition jetzt wieder Tritt gefasst, sagt Hennrich.

„Es wird wieder diskutiert“, sagt der CDU-Abgeordnete und nicht mehr gestritten. Die Auseinandersetzung innerhalb der Union habe in der Personalie des ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen seinen Höhepunkt gefunden. „Da hat dann irgendwann auch der Letzte gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Hennrich. Auch die beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen hätten gezeigt, dass nichts den Unionsparteien mehr geschadet habe, als der politische Richtungsstreit innerhalb der Partei für den Merkel und Seehofer stellvertretend standen. Deshalb sei es richtig gewesen von der Bundeskanzlerin, den Parteivorsitz abzugeben. Der Wettbewerb um den Vorsitz habe der CDU gut getan.

Schließlich sei auch die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden gut für seine Partei gewesen. Auch wenn Hennrichs Favorit ein anderer war: „Mein Herz hat für Jens Spahn geschlagen.“ Er sei seit 2002 ein politischer Weggefährte in der Gesundheitspolitik.

In der Koalition setzt derweil die SPD viele der Themen: ob Grundrente, Reformen von Hartz IV oder die Steuerpolitik. Die Sozialdemokraten bestimmen die Schlagzeilen. Aber auch das sieht Hennrich nicht unbedingt als negativen Aspekt der großen Koalition: „Es lohnt sich wieder zu diskutieren“, sagt er. Dabei könne jede Partei deutlich herausstellen, wer für was stehe.

„Ich teile die Auffassung der SPD bei der Grundrente überhaupt nicht“, sagt Hennrich, aber man müsse darüber eine faire Diskussion führen, wie man unterschiedliche Arbeitsbiografien bei der Rente behandeln soll. Das sei insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern ein wichtiges Thema.

Dabei outet sich Hennrich als „GroKo“-Fan. Denn während man mit der SPD durchaus inhaltlich diskutieren könne, stört ihn manches bei den beiden anderen möglichen Koalitionspartnern: Mit den Grünen gebe es inhaltlich-ideologische Differenzen. Insbesondere in Sachen Migrationspolitik und sichere Herkunftsstaaten, der Energiepolitik sowie bei Mobilität und Individualverkehr. Hier seien manche Positionen aus Sicht des Christdemokraten realitätsfremd. Die FDP sei der Union zwar inhaltlich näher, er habe jedoch wenig Sympathie mit den handelnden Personen. Zu tief sitzt noch die Enttäuschung über die geplatzten Jamaika-Koalitionsverhandlungen.

In sein Fachgebiet der Gesundheitspolitik sei durch die Ernennung Jens Spahns zum Gesundheitsminister viel Dynamik gekommen. Allerdings stehe man durch die steigenden Kosten in der Pflege und den Fachkräftemangel vor neuen Herausforderungen. Hennrich sieht hier große Herausforderungen für das soziale Sicherungssystem. Auch das Thema Digitalisierung scheint Fahrt aufzunehmen. Hier müsse man einen Weg finden, digitale Angebote wie Künstliche Intelligenz in ein sich wandelndes Gesundheitssystem zu integrieren. Eine weitere Herausforderung für das Gesundheitssystem sieht Hennrich im Umgang mit neuen Therapien gegen Krebs. Sie schlagen mit bis zu 700 000 Euro pro Patienten zu Buche. Hier müsse sich die Politik um das Thema Kosten kümmern.

Politik hat beim Thema Diesel geschlafen

Frustrierend findet Hennrich seine Arbeit in Sachen Nahost-Beziehungen. Der Sargnagel in den Beziehungen zu Saudi-Arabien sei der Fall Khashoggi gewesen. Seitdem seien die Beziehungen auf Eis. Ende April will Hennrich zum ersten Mal seit Langem in die Region reisen. Er besucht den Libanon und die palästinensischen Gebiete.

Das Thema Verkehr und Wohnen hätten seine Arbeit im Wahlkreis im vergangenen Jahr geprägt. Hennrich bezeichnete das eingeführte Baukindergeld als Erfolg. Allerdings würden 90 Prozent der Fördergelder für den Kauf von Bestandswohnungen verwendet – und nicht, wie geplant für den Neubau. Hier müsse man in Berlin noch nachjustieren.

Bei der Debatte rund um die Dieselfahrverbote hätte die Politik in den vergangenen Jahren geschlafen, übte Hennrich Selbstkritik. Man habe das Thema den Fachpolitikern überlassen und passiert sei – nichts. „Wenn wir vor fünf Jahren die Diskussionen geführt hätten, die wir jetzt führen, wären Fahrverbote kein Thema.“ Die Grenzwerte seien seit Jahren bekannt, nur habe niemand gehandelt.

In Sachen Breitbandversorgung sei man in der Region auf einem guten Weg attestierte Hennrich. Dafür sieht er die Pläne kritisch, dass der Bau von S21 den S-Bahn-Verkehr auf den Fildern beeinträchtigt. Gleiches gelte für den Bau der großen Wendlinger Kurve. Ein weiteres großes Thema der gesamten Region sei der Fachkräftemangel. Hier hofft Hennrich, dass gesetzliche Regelungen zur Zuwanderung von Fachkräften die Lage etwas entschärfen können.

In diesem Jahr stehe der Europa- und Kommunalwahlkampf auf dem Programm. Sorgen bereiten ihm die prognostizierten Erfolge der Rechtspopulisten in Ostdeutschlands Landtagen und im Europaparlament. „Aber ich bin da ein bisschen optimistischer als vor acht Wochen.“ Es sei jedoch möglich, dass, je nachdem wie SPD bei den Wahlen abschneide, die große Koalition im Herbst erneut auf eine Belastungsprobe gestellt werde.