Nürtinger Zeitung

Da ist guter Rat teuer

Da ist guter Rat teuer

15.12.2018, VON BARBARA GOSSON —

Was Politiker und Praktiker zur Reform des Paragrafen 219a sagen

Eine Abtreibung ist in Deutschland rechtswidrig, wird jedoch unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft. Dies regelt der berüchtigte Paragraf 218 des Strafgesetzbuches (StGB). Unmittelbar daran schließt sich der Paragraf 219 an. 219a verbietet Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch. Der Begriff ist so weit gefasst, dass er die schlichte Information durch jemanden, der daran Geld verdient, unter Strafe stellt. Als Folge davon wurde die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage angegeben hatte, den Eingriff anzubieten.

Das Urteil stieß eine politische Debatte an, in der sich seit Donnerstag ein Kompromiss unter den Koalitionsparteien abzeichnet. Darin soll unter anderem gesetzlich verankert werden, dass medizinisch und rechtlich qualitätsgesicherte Informationen auch von Seiten staatlicher oder staatlich beauftragter Stellen zur Verfügung stehen. Außerdem soll es mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Kliniken geben, die den Eingriff anbieten.

Wir haben bei den Abgeordneten der Wahlkreise Nürtingen und Esslingen, sowie bei einer Beratungsstelle nachgefragt, wie sie den Paragrafen sehen. Michael Hennrich und Markus Grübel (CDU), Nils Schmid (SPD), Matthias Gastel (Grüne) und Renata Alt (FDP) haben geantwortet und ihre persönliche Haltung zum 219a StGB erläutert.

Für Markus Grübel aus Esslingen ist die Vorstellung unerträglich, dass Ärzte und medizinische Einrichtungen offensiv für Schwangerschaftsabbrüche werben, um Geld zu verdienen. Er möchte also den Paragrafen beibehalten, bestenfalls die Frage der erlaubten Information klarstellen. Auch Michael Hennrich, Abgeordneter des Wahlkreises Nürtingen, möchte grundsätzlich am 219a festhalten: „Es handelt sich nicht um irgendeinen medizinischen Eingriff, sondern es geht um den Schutz ungeborenen Lebens. Wir müssen auch daran denken, dass die betroffenen Frauen eine autonome Entscheidung treffen können müssen, nicht jedes Informations- oder gar Werbeangebot unterstützt diese Entscheidung.“

Nils Schmid (SPD) möchte die Debatte versachlichen. Der 219a werde heute vor allem von radikalen Abtreibungsgegner dazu missbraucht, um Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, vor den Kadi zu zerren: „Das wollen wir unterbinden.“ Matthias Gastel sagt, dass Frauen zu Recht verlässliche Hilfe und Informationen bei Frauenärzten suchen und sie genau dort nicht finden. Gastel will diese sachlichen Informationen ermöglichen: „Dies schließt ein ausdrückliches Bewerben von Schwangerschaftsabbrüchen nicht mit ein.“

Renata Alt kritisiert, dass die Große Koalition seit einem Jahr eine Verbesserung für die betroffenen Frauen verhindere und sich nun in einer Nacht- und Nebel-Aktion auf einen unausgegorenen Vorschlag geeinigt habe. „Eine Streichung hätte keine Auswirkungen auf die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen nach Paragraf 218 StGB. Wir fordern damit die Selbstbestimmung von Frauen, lehnen aber grob anstößige Formen der Werbung ab.“

Finden die Abgeordneten den Paragrafen, der 1993 formuliert wurde, überhaupt noch zeitgemäß? Schließlich war damals noch nicht abzusehen, dass beinahe jede Arztpraxis eine Homepage hat, die über Suchmaschinen leicht zu finden ist.

„Dahinter steht die Idee, dass Information und tatsächlicher Schwangerschaftsabbruch an zwei verschiedenen Stellen stattfinden müssen, um auch nur den Anschein einer interessengeleiteten Information schon im Ansatz zu vermeiden“, sagt Hennrich. Die entsprechende Rechtsprechung sei bekannt: „Insofern wussten die verurteilten Ärzte, was sie tun und haben die Strafe als Akt der Demonstration bewusst in Kauf genommen.“ Dem schließt sich sein Parteifreund Grübel an: „Nach meinen Werten darf es nicht sein, dass Ärzte die Tötung werdenden menschlichen Lebens auf ihren Internetseiten als eine Leistung wie jede andere anbieten.“

Nils Schmid hält es für zeitlos richtig, dass Ärzte generell keine Werbung machen dürfen. Er erhofft sich vom Kompromiss der Koalition mehr Rechtssicherheit: „Wenn, wie angekündigt, eine neutrale Informationsplattform geschaffen, die Prävention gestärkt und die medizinische Qualifikation verbessert wird, dann war die Debatte alle Mühen wert.“

Matthias Gastel findet den 219a hingegen veraltet. „In der derzeitigen Fassung und Anwendung verwehrt die Rechtslage Frauen eine wichtige Information in einer Notlage, widerspricht der freien Arztwahl und der Berufsfreiheit von Ärzten.“ Auch Renata Alt hält den Paragrafen für aus der Zeit gefallen. „Kriminalisiert werden dadurch Ärzte, die auf ihrer Website darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder allgemeine Informationen über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches zur Verfügung stellen.“

Die Diplom-Sozialarbeiterin Andrea Reicherzer und die Diplom-Sozialpädagogin Christel Walker, Beraterinnen bei Pro Familia in Kirchheim haben es ständig mit Frauen zu tun, die vor der Frage stehen, ob sie die Schwangerschaft beenden. Sie stellen die notwendigen Beratungsscheine aus und haben Adressen von Ärzten und Kliniken, die den Eingriff vornehmen. Es sind nicht viele, weniger als zehn im ganzen Großraum Stuttgart. Die Liste ist keine offizielle, sie speist sich aus der langjährigen Erfahrung. In ganz Baden-Württemberg gibt es ungefähr 70 Einrichtungen, an die Frauen sich wenden können.

In den Ballungszentren ist die medizinische Versorgung gesichert. Noch, sagen die Beraterinnen. Viele der Ärzte sind alt und finden keinen Nachfolger. Im ländlichen Raum müssen die Frauen weite Wege und längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Ein Problem sehen die Beraterinnen auch darin, dass der Eingriff nicht Teil der Facharztausbildung von Gynäkologen ist. Es gebe stattdessen studentische Workshops, in denen eine Absaugung unterrichtet wird. Die Forderung von Pro Familia ist, dass der einfache und sehr sichere Eingriff wieder Teil der regulären Ausbildung wird.

In der Region Stuttgart bieten weniger als zehn Ärzte den Eingriff an

In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2016 8537 Schwangerschaftsabbrüche und 15 660 Konfliktberatungsgespräche. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten, wenn die Frau sich den Abbruch nicht leisten kann. Damit es erst gar nicht dazu kommen muss, wünschen sich Reicherzer und Walker, dass die Krankenkassen vermehrt die Kosten für Verhütungsmittel übernehmen: „Verhütung darf nicht am Geldbeutel scheitern.“ Auf Antrag kann das Sozialamt die Kosten für Pille und Spirale übernehmen.

Der Paragraf 219a spielte lange Jahre keine Rolle, bis sich zwei selbsternannte Lebensschützer daran machten, die Seiten von Ärzten zu durchforsten und sie zur Anzeige zu bringen. Den beiden Beraterinnen ist allerdings kein Fall aus dem Kreis bekannt. „Viele Ärzte wollen den Eingriff nicht oder nur bei ihren eigenen Patientinnen übernehmen, weil sie fürchten, von solchen Leuten an den Pranger gestellt zu werden“, sagt Reicherzer.

Die beiden Beraterinnen wünschen sich Sicherheit für Mediziner in der Frage, was Information und was Werbung ist. Die Unsicherheit hat zur Folge, dass bei einer Internetrecherche reichlich Propaganda von Abtreibungsgegnern auftaucht, statt der gesuchten sachlichen Informationen. „Die Frauen haben das Recht auf den Eingriff, also müssen sie auch die Informationen zur Verfügung bekommen.“

Christel Walker beschreibt, wie die Beratung abläuft: Der Frau wird Raum gegeben, ihren Konflikt darzulegen. Je nach dem, was benötigt wird, bekommt sie medizinische, soziale und juristische Informationen, wie vom Gesetz vorgeschrieben ergebnisoffen. Die letzte Verantwortung liegt bei der Frau. Am Ende gibt es einen Schein, der beim Arzt vorgelegt werden muss und besagte kurze Liste von Medizinern.

„Die Frauen sind in einer Notlage, sie treffen ihre Entscheidung aus guten Gründen. Sie treiben ab, und wenn sie in der Illegalität ihr Leben riskieren“, sagt Walker. Die Gründe, die die Beraterinnen am Häufigsten hören, sind berufliche und finanzielle Unsicherheit sowie brüchige Beziehungen. Um Abtreibungen zu verhindern, müsse sich an der Gesellschaft etwas ändern, Kinder dürften kein Armutsrisiko mehr sein, findet Recherzer.

Der Gedanke, dass jemand durch Werbung überhaupt auf die Idee zu einer Abtreibung gebracht wird, erscheint den Beaterinnen absurd. Immerhin dürfen weiterhin nur Mediziner den Eingriff vornehmen und in ihrer Ständeordnung ist bereits ein Werbeverbot verankert.

Pro Familia hat sich immer für die Abschaffung des 219a ausgesprochen und ist mit dem nun ausgehandelten Kompromiss nicht zufrieden. In einem am Donnerstag veröffentlichten Positionspapier kritisiert der Bundesverband, dass damit die Kriminalisierung von Ärzten nicht beendet wird und Schwangere weitergehende Informationen zum Eingriff, zum Beispiel ob er medikamentös oder über eine Absaugung gemacht wird, benötigen, als sie ihnen nach dem GroKo-Vorschlag zur Verfügung gestellt werden.