Automatisch Organspender?
Automatisch Organspender?
Ein neues Transplantationsgesetzes sorgt für Diskussionen – Hennrich ist gegen Widerspruchslösung des Gesundheitsministers
Der CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn sieht angesichts sinkender Organspenderzahlen Handlungsbedarf. Er schlägt die Widerspruchslösung vor. Sein Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete aus Nürtingen Michael Hennrich, ist dagegen. Vielmehr sieht er einen geeigneteren Lösungsansatz in der Einführung eines Bonuspunktesystems.
Im Jahr 2017 erreichte die Organspenderzahl in Deutschland den absoluten Tiefpunkt. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) warten bundesweit über 10 000 Menschen auf eine Organspende. Dagegen stehen aber nur 797 Menschen, die im vergangenen Jahr nach ihrem Tod ein Organ spendeten.
Momentan gilt in Deutschland noch die Entscheidungslösung. Sie wurde im November 2012 eingeführt und sieht vor, dass sich jeder Bürger regelmäßig und ernsthaft mit dem Thema Organspende befassen muss. Seine Entscheidung sollte er im besten Falle schriftlich dokumentieren.
Hierfür ist der Organspendeausweis gedacht. Auf ihm kann jeder seine Einwilligung oder seine Ablehnung gegenüber der Organspende festhalten. Zudem kann auch zwischen einzelnen Organen oder Gewebeteilen unterschieden werden, die nach dem Tod nicht Teil einer möglichen Spende sein sollten. Ist der Ausweis unterschrieben, so gilt er nach Definition der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung als rechtskräftig und ist somit bindend.
Wie Petra Schneppe von der AOK Neckar-Fils erläutert, sind alle Krankenkassen nach dem Transplantationsgesetz dazu verpflichtet, jeden Versicherten ab 16 Jahren alle zwei Jahre über das Thema Organspende zu informieren und ihn dazu aufzufordern, eine Entscheidung zu treffen. Hierzu lassen sie ihren Kunden einen Organspendeausweis inklusive Informationsmaterial zukommen. Außerdem müssen die Krankenkassen eine neutrale Beratung zu organisatorischen und medizinischen Fragen bezüglich einer Organspende sicherstellen, so die Pressesprecherin weiter. Darüber hinaus behandelt die AOK regelmäßig in ihren Kundenmagazinen das Thema Organspende, wie Schneppe berichtet.
Der Gesundheitsminister Jens Spahn möchte angesichts der sinkenden Organspenderzahlen eine neue Lösung finden, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. „Ich bin für eine doppelte Widerspruchslösung. Das heißt, dass jeder zu Lebzeiten ausdrücklich ,nein‘ sagen kann – und ansonsten die Angehörigen zu fragen sind. Nur so kann die Organspende zum Normalfall werden“, wird Spahn auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit zitiert.
Bei dieser gesetzlichen Regelung müssten also alle Bürger einer Organspende aktiv widersprechen. Dafür könnte beispielsweise ein Widerspruchsregister eingeführt werden. Dort könnte die Ablehnung offiziell registriert werden. Dieser Umgang mit der Organspende ist bereits in zahlreichen anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Österreich oder Spanien üblich.
In europäischen Ländern mit einer Widerspruchsregelung gibt es laut Statistiken der Organisation Eurotransplant tatsächlich mehr Organspenden. Die Stiftung ist in acht europäischen Ländern verantwortlich für die Zuteilung von Organen und Empfängern. Zu den Ländern gehören neben Deutschland auch Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien. So ist Eurotransplant nach eigener Aussage für 136 Millionen Einwohner zuständig. Die Bundesrepublik gilt laut der DSO als „Importland“ in Sachen Organspende. Im Jahr 2016 wurden mehr Spenderorgane in Deutschland transplantiert, als Spenden in die Eurotransplant-Länder abgegeben wurden.
Widerspruchslösung oder Bonuspunkte?
In allen Mitgliedsländern außer Deutschland gilt die Widerspruchslösung. Das sei nicht der richtige Ansatz, um die Zahl der Transplantationen zu erhöhen, sagt Michael Hennrich. Der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte seiner Partei ist gegen die Vorschläge seines Parteifreunds Spahn. Allein aus ethischen Gründen sei er gegen die angedachte Widerspruchslösung. „Die Menschenwürde gilt auch nach dem Tod“, sagt Hennrich. Ein Mensch dürfe nicht nach Lebensende von einem Objekt zu einem Subjekt gemacht werden, das als Ersatzteillager dienen könne. Stattdessen schlägt Hennrich vor, dass man Menschen, die bereit sind ihre Organe zu spenden, dann bevorzugen könne, wenn sie selbst eine Organspende benötigen. Das könne beispielsweise über ein Zeit-Bonussystem auf den Wartelisten funktionieren.
Hennrich weist darauf hin, dass die Zahl der Organspender stabil sei. Allerdings sinke die Zahl der Organentnahmen. Viele Kliniken hätten nicht die Kapazitäten, Spenderorgane zu entnehmen. Auch fehlten die organisatorischen Strukturen. „Die Bedingungen müssen insgesamt verbessert werden“, sagt Hennrich. So schlägt er vor, dass Kliniken Ärzte als Transplantationsbeauftragte einsetzen. Diese könnten sich dann ausschließlich um Beratung und Information zu diesem Thema kümmern und so Spendenwillige oder Hinterbliebene aufklären.
Insgesamt müsse das gesamte System transparenter werden, so Hennrich. Dabei plädiert er für mehr Staat: „Organspende und Spenderlisten gehören in die Hand des Staats“. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Bedingungen objektiv, unabhängig und neutral seien.
Eine Gesetzesänderung, die über die Widerspruchslösung oder gar ein Bonuspunktesystem entscheiden wird, wird es vorerst nicht geben. Gesundheitsminister Spahn will erst einmal eine offene Debatte im Bundestag anregen. Allerdings will Parlamentarier Hennrich mit dem Thema nicht allzu lange warten – der Gesetzentwurf sei in Arbeit, sagt er. Er rechnet mit einer Debatte und einer Entscheidung im kommenden Frühjahr.