Nürtinger Zeitung

Sonntags mal ohne Lkws? Nicht im Lenninger Tal

Sonntags mal ohne Lkws? Nicht im Lenninger Tal

07.08.2018, VON SYLVIA GIERLICHS —

Für den Bau des Albvorlandtunnels an der ICE-Trasse Wendlingen–Ulm wird auch sonntags Kalkstein aus Grabenstetten benötigt – Bürgermeister nicht informiert

Einen Tunnel zu bauen bringt Beschwernisse mit sich. Das bekommt die Deutsche Bahn, die die ICE-Trasse zwischen Wendlingen und Ulm baut, immer wieder zu spüren. 360 Lastkraftwagen voller Aushub im Lenninger Tal, Kalkstaub in den Gärten und auf den Autos der Anlieger der Baustelle sind einige Schlagworte. Nun kommen auch noch Lkw-Fahrten am Sonntag hinzu.

Im Lenninger Tal ärgert man sich nun schon zum zweiten Mal über die Deutsche Bahn. Bereits im vergangenen Jahr sorgte die Anzahl von hunderten Lastwagen, die den Erdaushub von der Tunnelbaustelle über die Bundesstraße 465 auf die Alb karren sollten, für Aufregung. Die B 465 ist zwar als Bundesstraße deklariert. Faktisch ist sie aber in Owen und Lenningen eine Ortsdurchfahrt. Auf der es schon mal eng zugehen kann. Und auf der täglich insgesamt bis zu 1500 Lkw rollen. Vom Pkw-Verkehr spricht da noch niemand. Dennoch, als Bundesstraße gehört die 465 zu jenen Straßen, die für den Abtransport des Tunnelaushubs in Frage kommen. Vier Millionen Tonnen Erdmaterial werden die zwei Tunnelbohrmaschinen bis zur Fertigstellung des Albvorlandtunnels im Frühjahr 2019 zu Tage befördert haben. 20 000 bis 30 000 Tonnen sind es pro Tag. Als Lagerstätten kamen damals die Steinbrüche in Grabenstetten und Erkenbrechtsweiler in Frage.

Als den Kommunen im Lenninger Tal klar wurde, was da auf sie zurollt, war die Empörung groß. Kurz bevor die Stimmung im Tal kippte, entschloss sich die Deutsche Bahn im Juli 2017, die Bürger in einer Infoveranstaltung über die Lkw-Fahrten in Kenntnis zu setzen. Der Veranstaltung waren einige Gespräche zwischen Projektabschnittsleitung und den betroffenen Bürgermeistern vorausgegangen. „Ich hatte damals den Eindruck, dass wir dabei einen ganz guten Draht zu den Verantwortlichen des Projektabschnitts aufbauen konnten“, sagt Owens Bürgermeisterin Verena Grötzinger rückblickend.

Mittlerweile steht auf der Alb nur noch der Steinbruch in Grabenstetten für die Ablagerung es Erdaushubs zur Verfügung. Das Grabenstettener Unternehmen liefert zudem auch den Kalkstein, der für die Herstellung von Beton benötigt wird. Beton, mit dem die Bausteine hergestellt werden, die den Albvorlandtunnel auskleiden. Werktags und samstags bringen 25 der Lkws, die zwischen Baustelle und Steinbruch pendeln, den Kalkstein mit ins Tal. In einer eigens gebauten Fabrik in Kirchheim werden die Betonbausteine, Tübbinge genannt, hergestellt. Die Tübbinge-Produktion läuft derzeit auf Hochtouren. Was daran liegt, dass wegen fehlender Genehmigungen die Herstellung der Tunnelsegmente erst später beginnen konnte als vorgesehen, wie Projektabschnittsleiter Jens Hallfeldt erläutert. Bis die Bausteine in den Tunnel eingebaut werden können, müssen sie jedoch 28 Tage aushärten. Da die beiden Tunnelbohrmaschinen den Vortrieb und den Einbau der Tübbinge in einem Arbeitsgang erledigen, müssen aber immer genügend einbaufähige Tübbinge vorhanden sein.

Nun geht so langsam der Vorrat an einbaufähigen Tübbingen zur Neige. Um den Zeitverlust aufzuholen, werden nun also Betonbausteine gebaut, was das Zeug hält. Da das Gelände der Tübbinge-Fabrik keine Lagerkapazität hat, um den Kalkstein aus Grabenstetten zwischenzulagern, setzt man bei der Baufirma Implenia nun auf „Just in time“-Lieferungen des Kalksteins von der Alb. Geliefert wird täglich genau die Menge, die auch für die tägliche Produktion benötigt wird.

Wenn also in der Tübbinge-Fabrik auch sonntags gearbeitet wird, muss sie auch sonntags mit Material beliefert werden. Und zwar, genau wie montags bis samstags, zwischen 6 und 22 Uhr, mit 25 Lkw-Ladungen Kalkstein. Dass in der Bürgerinfoveranstaltung im Vorjahr keine Rede von Fahrten auch an Sonntagen gewesen ist, dafür bittet Projektleiter Jens Hallfeldt um Verständnis. Denn damals sei es lediglich um den Erdaushub gegangen, der von der Baustelle wegtransportiert werden müsse. Bei den Sonntagsfahrten gehe es jedoch um die Anlieferung von Material, das zur Herstellung von Beton benötigt werde.

Landesbergdirektion in Freiburg gab das Okay für die Sonntagsarbeit

Eine Petitesse ist der Vorgang aber nicht. Für die Sonntagsarbeit in der Tübbinge-Fabrik und die sonntäglichen Lkw-Fahrten werden Ausnahmegenehmigungen benötigt. Und die werden so selten erteilt, dass bei den involvierten Behörden erst einmal selbst Konfusion herrschte. Letztlich jedoch teilte die Landesbergdirektion, angesiedelt beim Regierungspräsidium Freiburg, mit, man habe der Baufirma Implenia die Erlaubnis erteilt, ihre Mitarbeiter auch am Sonntag einsetzen zu dürfen. „Die Arbeiten sind aus geomechanischen Gründen notwendig, um unterbrechungsbedingte Bauwerksschäden im Tunnelvortrieb zu verhindern. Ein Misslingen des Arbeitsergebnisses aufgrund von vermeidbaren Vortriebsunterbrechungen soll so ausreichend sicher verhütet werden“, schreibt die Behörde auf Nachfrage der Wendlinger Zeitung. Die Erlaubnis für die Sonntagsfahrten der Spedition wurde in der Landeshauptstadt ausgestellt. Denn dort ist das Unternehmen ansässig, das die Sonntagsfahrten übernehmen soll.

An den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden im Lenninger Tal ging all dies komplett vorbei. Es war der Steinbruchbetreiber aus Grabenstetten, der Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht darauf aufmerksam machte. Und genau das bringt sowohl Verena Grötzinger in Owen als auch ihre Kollegen Michael Schlecht (Lenningen) und Rainer Haußmann (Dettingen) auf die Palme. „Was ist so schwierig daran, partnerschaftlich miteinander umzugehen?“, fragt Verena Grötzinger, die ein solches Verhalten nach den Gesprächen mit der DB im vergangenen Jahr nicht für möglich gehalten hatte.

Wegen des Informationsdefizits, aber auch wegen der Belastungen, die die Fahrten für die Bürger der betroffenen Kommunen darstellen, meldeten sich auch der Kirchheimer Landtagsabgeordnete Andreas Kenner (SPD) und der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich (CDU) jeweils mit einem Schreiben bei Projektabschnittsleiter Jens Hallfeldt. Hennrich weist in seinem Schreiben zudem darauf hin, dass sich am Wochenende unzählige Ausflügler in Autos und auf Motorrädern durch das Lenninger Tal auf die Alb schlängeln. Eine Zusatzbelastung für die Bürger.

Es sind genau diese Belastungen, die auch Verena Grötzinger und Michael Schlecht umtreiben. Die Sonntagsfahrten, auch wenn es nur 25 Lkws sind – sie sind ein Schlag ins Gesicht all jener, die bereits an sechs Tagen pro Woche mit Schwerlastverkehr und sonntags mit Ausflüglern konfrontiert sind. „Es ist schon etwas beängstigend, wenn man an der Kirchheimer Straße steht und die Lkws rauschen an einem vorbei. Manchmal sogar in Kolonnen“, sagt Grötzinger. Auch wenn 25 Lastwagen auf den ersten Blick nicht als eine besonders hohe Anzahl erscheinen, so verweisen auch Michael Schlecht und Verena Grötzinger auf den nicht unerheblichen sonntäglichen Ausflugsverkehr.

Am Donnerstag trafen sich die drei Bürgermeister schließlich mit Vertretern der Deutschen Bahn und der Baufirma Implenia. Beide Unternehmen entschuldigten sich für das Informationsdefizit. Und alle drei Bürgermeister haben deutlich ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, wie Verena Grötzinger aus Owen es ausdrückte.

Doch traten die Verantwortlichen bei DB und Implenia tatsächlich einen Gang nach Canossa an? An den sonntäglichen Fahrten jedenfalls lässt sich nicht rütteln, daran ließen die Besucher in Lenningen keinen Zweifel. Alternativen, beispielsweise Lagerflächen, seien geprüft und als nicht umsetzbar verworfen worden (siehe nebenstehendes Interview). „Man fühlt sich ein Stück weit hilflos und abhängig vom Goodwill der Verantwortlichen der Großbaustelle“, sagt Grötzinger, die wie im Vorjahr von ihren beiden Amtskollegen zu einer Art Sprecherin erkoren wurde.

Trotz Entschuldigung bleibt also die Thematik im Ergebnis für die Bürger unbefriedigend. Sie müssen die Kröte schlucken.