Nürtinger Zeitung

„Der Berliner ist etwas strenger“

„Der Berliner ist etwas strenger“

28.03.2018, VON MATTHÄUS KLEMKE —

Nach 150 Tagen im Deutschen Bundestag erzählt FDP-Politikerin Renata Alt über ihr Leben als Bundestagsabgeordnete

Die ersten 150 Tage als Bundestagsabgeordnete hat Renata Alt von der FDP hinter sich. In ihrem Kirchheimer Wahlkreisbüro sprach sie über das Leben zwischen Hauptstadt und schwäbischer Provinz, die „Berliner Schnauze“ und den Frühjahrsputz.

NÜRTINGEN/KIRCHHEIM. Das Büro von Renata Alt in der Kirchheimer Osianderstraße ist noch recht spartanisch eingerichtet. Erst vor einigen Wochen hat ihr Team nach langer Suche eine passende Unterkunft gefunden. „Wir haben es noch nicht geschafft alles einzurichten“, sagt Alt.

Viel Zeit hat man als Bundestagsabgeordnete eben nicht. Bei den Wahlen im Oktober ist die FDP-Politikerin über die Landesliste in den Bundestag gekommen. Mit ihrem Schwerpunkt auf EU-Politik wurde sie in den Auswärtigen Ausschuss gewählt. 150 Tage als Abgeordnete liegen nun hinter ihr. „Kommt mir überhaupt nicht so lange vor“, sagt sie mit einem Lächeln.

Von montags bis freitags ist die FDP-Politikerin aus dem Wahlkreis Nürtingen in der Hauptstadt Berlin. „Kein Tag ist wie der andere“, sagt sie und gibt ein Beispiel für einen Tagesablauf: Morgens um 8 Uhr geht der Tag los mit einer Sitzung der Arbeitsgruppe Außenpolitik, anschließend tagt noch der Arbeitskreis Menschenrechte und Freiheit. Von 12 bis 13 Uhr steht ein Firmenbesuch an und um 15 Uhr geht’s zur Fraktionssitzung. Danach noch ein Pressetermin, bevor um 18 Uhr der Auswärtige Ausschuss tagt. „Wenn ich dann um 23 Uhr im Hotel bin, bleibt noch Zeit für einen Apfel und das tägliche Telefonat mit meinem Mann“, sagt sie: „Das darf auf keinen Fall fehlen.“ Für den ist der neue Job seiner Ehefrau natürlich auch eine große Umstellung gewesen. „Immerhin muss er den Haushalt jetzt ganz alleine schmeißen“, scherzt Alt.

Zwischen Oppositionsarbeit und Eheleben stehen außerdem alltägliche Herausforderungen wie die Suche nach einer eigenen Wohnung in Berlin auf der Tagesordnung. Seit ihrem Einzug in den Bundestag wohnt Alt in einem Hotel. Die Wohnungsnot bekommen eben auch Bundestagsabgeordnete zu spüren: „Die können sich die hohen Mieten zwar eher leisten, aber diese Preise möchte ich nicht unterstützen.“

Bei den streng durchgetakteten Tagen bleibt für Sightseeing in der Hauptstadt nur wenig Zeit. „Berlin habe ich bisher fast nur aus dem Auto gesehen“, sagt Alt. Ob sie sich den Job so stressig vorgestellt hat? „Ich kenne Regierungsarbeit ja schon aus meiner Zeit im Außenhandelsministerium in Prag. Die Abläufe sind ungefähr gleich.“

Und was unterscheidet eigentlich den Berliner vom Schwaben? „Der Berliner an sich ist etwas strenger. Also die berühmte Berliner Schnauze kann ich nur bestätigen“, sagt die diplomierte Chemie-Ingenieurin: „Aber ich glaube, die Kollegen aus dem Rheinland haben damit größere Schwierigkeiten. Der Rheinländer ist ja eher eine Frohnatur.“

Und auch wenn die Uhren in der Metropole etwas anders ticken, bleibt die schwäbische Heimat doch immer präsent: „Beim Treffen der FDP-Landesgruppe gibt es immer Maultauschen oder Spätzle“, verrät die Vegetarierin. Wirklich gewöhnungsbedürftig an ihrem neuen Job sei eigentlich nur eines: „Die häufige Fliegerei.“ Jedes Wochenende geht’s in die Heimat nach Kirchheim. Sonntag wird die letzte oder Montag die erste Maschine zurück nach Berlin genommen. Wie gut, dass einem da ein erfahrener Bundespolitiker wie der CDU-Abgeordnete Michael Hennrich unter die Arme greift. Der pendelt ebenfalls zwischen Berlin und Kirchheim und half Alt nicht nur mit Büroräumen aus: „Wenn wir zusammen reisen, hilft er mir auch dabei meinen schweren Koffer zu tragen“, lobt Alt ihren Wahlkreis-Kollegen.

Im Februar hielt die gebürtige Slowakin ihre erste Rede im Bundestag – über die humanitäre Situation im Jemen. Ein wenig angespannt sei sie natürlich gewesen: „Aber ich habe diesen Moment total genossen. Dort am Rednerpult zu stehen war schon ein überwältigendes Gefühl.“

Schockierender NS-Jargon im Bundestag

Schockierend sei hingegen das Verhalten mancher Abgeordneter während der Sitzungen. Die AFD-Fraktion sitzt im Bundestag links neben der FDP-Fraktion. Rassistische Zwischenrufe seien keine Seltenheit. „Da wird häufig Jargon aus dem Dritten Reich benutzt. Das bekommen die Leute daheim an den Fernsehern so gar nicht mit.“ Eine Taktik, sich davon nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, habe sie auch schon gefunden: „Ich bin mental zum Glück so gefestigt, dass mich diese Provokationen nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Ich blicke dann einfach zur Regierungsbank oder zur rechten Seite, wo die CDU-Fraktion sitzt.

Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt hat Alt jetzt drei sitzungsfreie Wochen. Dann wird entspannt – und zwar beim Frühjahrsputz in der Kirchheimer Wohnung: „Das hört sich komisch an, aber dabei kann ich wirklich abschalten.“ Außerdem möchte sie natürlich viel Zeit mit ihrem Ehemann verbringen – spazieren gehen, in die Berge fahren. Und da ist ja auch immer noch das Kirchheimer Büro, das eingerichtet werden möchte.