Nürtinger Zeitung

Um den Filderbahnhof wird gepokert

Um den Filderbahnhof wird gepokert

15.01.2018, VON SYLVIA GIERLICHS —

Landrat Heinz Eininger und Andreas Schwarz (Grüne): „Die Bahn kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen“

Seit Gedankenspiele der Deutschen Bahn bekannt wurden, den Tiefbahnhof am Flughafen gegebenenfalls auch über der Erde und an der A8 zu bauen, reißen die Proteste von Politikern nicht ab. Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, der Kirchheimer Andreas Schwarz, und Landrat Heinz Eininger machten ihrer Empörung Luft und formulierten deutlich ihre Erwartungen.

WENDLINGEN. Dass das Land Baden-Württemberg, der Verband Region Stuttgart und die Flughafengesellschaft sich finanziell am Bahnprojekt Stuttgart 21 beteiligen, ist in einem Finanzierungsvertrag festgehalten. Das Land ist mit 930 Millionen Euro im Spiel, der Flughafen mit 359 Millionen Euro. Die Bedingungen: Der Flughafen soll zur Verkehrsdrehscheibe werden. Für den Fernverkehr Richtung München. Für den Regionalverkehr nach Ulm und Lindau. Für Fernbusse und die Relexbusse, die der Verband Region Stuttgart ins Rennen schickt. Für die S-Bahn-Verlängerung vom Flughafen nach Neuhausen. Für die Anbindung der Gäubahn. Und natürlich auch für eine mögliche S-Bahn-Anbindung an den Raum Esslingen, die gerade untersucht wird. Eine Untersuchung, für die sich maßgeblich auch der Wendlinger Bürgermeister Steffen Weigel stark gemacht hat und die bereits 2016 in Wendlingen öffentlich vorgestellt wurde.

All das macht beispielsweise den Bau eines dritten Gleises zu den zwei bereits bestehenden S-Bahn-Gleisen an den Flughafenterminals notwendig. Und den Bau der sogenannten Station Neubaustrecke, die unter der Messepiazza und in unmittelbarer Nähe der Flughafenterminals gebaut werden soll. „Hier geht es nicht nur um Reisende, die zum Flughafen wollen, hier geht es auch um Arbeitnehmer, die am Flughafen und in der Nähe arbeiten. Und natürlich auch um die Messebesucher. Wenn sie alle auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, entlasten wir Straßen und Umwelt vom Individualverkehr. Dafür muss jetzt die versprochene Infrastruktur geschaffen werden“, sagt der Kirchheimer Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag.

Bahnhof an der A 8 löste gewaltige Protestwelle aus

Indes, die Bahn hatte noch vor Weihnachten verlauten lassen, dass statt des Tiefbahnhofs unter der Messepiazza ein oberirdischer Bahnhof an der A8 entstehen könnte. Was zu der absurden Situation führen könnte, dass die Fahrgäste zwar in 28 Minuten von Ulm zu diesem A8-Bahnhof kommen, aber weitere 20 Minuten bis zum Flughafen selbst benötigen, so die hämischen Kommentare von Lokalpolitikern von den Fildern bis ins Neckartal. Die Distanz von diesem Bahnhof zum Flughafen, so eine abenteuerliche Überlegung der Bahn, könnte mit Laufbändern überbrückt werden. Ein Unding, wie Andreas Schwarz und auch der Esslinger Landrat Heinz Eini-nger meinen. Die Welle des Protests war gewaltig. „Der Filderbahnhof muss wie geplant gebaut werden. Kommt der Bahnhof an der A8, werden alle geplanten ÖPNV-Projekte infrage gestellt“, sagt Eininger. Gemeint ist, dass dann die Fahrgastzahlen drastisch zurückgehen werden, die zur Grundlage der Kosten-Nutzen-Berechnungen gehören, um ein ÖPNV-Projekt auf den Weg zu bringen.

Außerdem, so der Kreischef weiter, sei der Filderbahnhof Gegenstand der Volksabstimmung gewesen und bereits planfestgestellt. „Die Bahn kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, nur weil das Bauen im Bestand und das unterirdische Bauen schwierig ist“, meint Andreas Schwarz. Und Eininger unterstreicht nochmals, wie wichtig es sei, auf engstem Raum alle Verkehrsmittel beieinander zu haben, um mit möglichst kurzen Wegen und wenig Zeitaufwand vom einen auf das andere Verkehrsmittel umzusteigen. „Weit auseinander liegende Bahnhöfe sind daher keine Lösung. Dies umso mehr, als der Filderraum durch den Individualverkehr hoch belastet ist. Einem funktionierenden ÖPNV kommt daher eine hohe Bedeutung zu“, so Einingers Fazit. Prognosen selbst der Deutschen Bahn sprechen davon, das künftig bis zu 39 000 Menschen dieses verbesserte ÖPNV-Angebot im Nah- und Fernverkehr nutzen könnten.

Mittlerweile ruderte die DB-Projektgesellschaft zurück, was die Verlegung des Flughafenbahnhofs an die A8 angeht und bekannte sich zum Finanzierungsvertrag. Änderungen sollen nur im Einvernehmen mit allen Projektpartnern erfolgen.

16 Fernverkehrszüge, auch ICEs werden am Flughafen halten

Kaum war dieses Thema vom Tisch, kam der nächste Aufreger: Nur drei Fernverkehrszüge würden täglich am Flughafenbahnhof halten, hatte die SPD-Landtagsfraktion auf Anfrage bei Verkehrsminister Winfried Hermann in Erfahrung gebracht. Der Stresstest aus dem Jahr 2010 hatte einen Fahrplan mit einem ganztägigen 2-Stunden-Takt einer IC-Linie mit Halt am Flughafen unterstellt. Und deswegen verlangt die SPD-Fraktion, dass die Bahn Zusagen einhält, den Flughafenbahnhof zur Verkehrsdrehscheibe zu entwickeln, wie der Kirchheimer Landtagsabgeordnete Andreas Kenner mitteilte. Sein Landtagskollege Andreas Schwarz (Grüne) fordert, mindestens alle zwei Stunden solle ein Fernverkehrszug der Strecke Frankfurt, Mannheim, Stuttgart, München am Flughafen halten.

Die CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich und Markus Grübel wandten sich gar in der vergangenen Woche in einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Richard Lutz, um ihrer Besorgnis um die Entwicklungen in Sachen Stuttgart 21 Ausdruck zu verleihen. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann fand in der Landespressekonferenz klare Worte: „Nur drei IC-Halte am Tag, das geht gar nicht.“ Inzwischen gibt es eindeutige Signale der Bahn, auch hier zu den abgeschlossenen Verträgen zu stehen. Täglich 16 Fernreisezüge, darunter nicht nur ICs, sondern auch ICEs, sollen täglich am Flughafen halten.

Vorbild Schweiz: Andreas Schwarz fordert Zielvereinbarungen

Dennoch kann Andreas Schwarz seinen Ärger kaum verbergen: „Die Deutsche Bahn soll ihre Kernaufgabe erfüllen: Bahnhöfe und Bahnstrecken bauen, Züge pünktlich fahren lassen und Fahrpläne erstellen.“ Damit das besser als bisher funktioniert, fordert er in Deutschland ein ähnliches Vorgehen wie in der Schweiz, wo der Bundesrat mit der Schweizer Bundesbahn (SBB) Zielvereinbarungen für einen zuverlässigen Schienenverkehr abschließt.