Nürtinger Zeitung

Nix war’s mit Jamaika

Nix war’s mit Jamaika

21.11.2017, VON BARBARA GOSSON UND ANDREAS WARAUSCH —

Bundestagsabgeordnete der Wahlkreise Nürtingen und Esslingen nehmen Stellung zum Scheitern der Sondierung

Die Sondierungen für eine JamaikaKoalition mit CDU/CSU, Grünen und FDP sind gescheitert. Die FDP ließ sie platzen. Wir haben gestern mit den vier Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Nürtingen und mit Markus Grübel aus dem Wahlkreis Esslingen, zu dem Wendlingen gehört, gesprochen.

Der Tag danach: In der Bundeshauptstadt machen sich auch die schwäbischen Bundespolitiker Gedanken über das Scheitern von Jamaika – und darüber, wie es weitergehen soll. Minderheitsregierung? Neuwahlen? Oder doch eine Große Koalition? Selbstverständlich wird auch die Frage nach der Schuld für das Scheitern debattiert. Gehört der Schwarze Peter allein der FDP?

Die neu gewählte Nürtinger FDP-Abgeordnete Renata Alt hat zum Abbruch der Verhandlungen gemischte Gefühle: „Wir waren uns der Verantwortung durchaus bewusst. Die Entscheidung ist nicht leicht gefallen.“ Die FDP habe eine Trendwende versprochen. Es sei ihr darum gegangen, die Politik zu vertreten, für die sie einen Wählerauftrag erhalten habe. „Unsere Werte wurden nicht ernst genommen“, sagt Alt. Damit fehle die Vertrauensbasis für eine lange Zusammenarbeit. Der Ausstieg aus den Verhandlungen sei auf keinen Fall von langer Hand geplant gewesen. Alleine Christian Lindners schlecht vorbereiteter Auftritt sei ein Beleg dafür. Im Gegenteil, die FDP habe viele Kompromisslinien aufgemacht. Sogar noch am Sonntagabend um 18 Uhr gab laut Alt es viele Möglichkeiten, auf die FDP einzugehen, die nicht genutzt wurden. Renata Alt sieht Neuwahlen nicht als Lösung. Nun müsse die SPD überlegen, ob sie Verantwortung übernimmt. Der Regierungsauftrag liege klar bei Angela Merkel, deren Aufgabe es sei, Kompromisse zu schließen, um eine Regierung zu bilden. „An uns lag es nicht, dass die Verhandlungen gescheitert sind“, schließt Alt.

Der Esslinger CDU-Abgeordnete und Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Markus Grübel, ist dagegen sehr verwundert über das Verhalten der FDP. Wenn sich schon CSU und Grüne in der Flüchtlingsfrage einig werden, könnte man seiner Meinung nach schon von brauchbaren Kompromissen sprechen. Für Grübel war der Verhandlungsabbruch der FDP kein spontaner Akt. Normalerweise sei es üblich, dass bei einem Scheitern der Verhandlungen alle gemeinsam vor die Presse treten, nicht einer alleine.

Nun hängt seiner Meinung nach alles an der SPD, die gerade ihrer Verantwortung nicht gerecht werde. Grübel betont: „Auf dem Wahlzettel wurde keine Koalition gewählt.“ Jede Partei bewerbe sich um Verantwortung und müsse deshalb bereit sein, sie zu übernehmen. Grübel findet es paradox, dass eine Partei, die derzeit noch Minister stellt, nicht dazu bereit ist. Von der FDP ist Grübel enttäuscht: „Bis zum Wochenende war das ein ernstzunehmender Verhandlungspartner. Aber es kann bei einem Wahlergebnis von 10,7 Prozent keine 100 Prozent FDP geben.“ Grübel glaubt, dass eine Verständigung möglich gewesen wäre, gescheitert sei alles an Kleinigkeiten. Eine Neuwahl sei kein Ziel, aber besser als eine Minderheitsregierung.

Mit Schuldzuweisungen kann der Nürtinger CDU-Abgeordnete Michael Hennrich hingegen nichts anfangen. Er will nicht mit den Fingern auf Einzelne zeigen. Hennrich: „Die Sache war von Anfang an verkorkst.“ Die Beteiligten hätten Jamaika nicht als Chance gesehen. Vielmehr habe jeder Angst gehabt, übervorteilt zu werden. Für einen Erfolg wäre ein anderer Geist nötig gewesen, meint Hennrich. Er glaubt, dass es unter den Sondierern am Vertrauen mangelte. Und das habe sich während der Verhandlungen nicht gebessert. Eingangs hielt Hennrich ein Scheitern zwar nicht für möglich. In der vergangenen Woche habe es sich aber deutlich abgezeichnet.

Wie wird sich die SPD verhalten?

Hennrich hält es ganz mit den Aussagen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Es gehe nicht um Parteien und deren Positionen, sondern darum, das Beste aus dem Wahlergebnis zu machen. Mit allen Beteiligten müsse man das Gespräch suchen, auch mit der SPD. Es reiche nicht aus, einfach „Ohne mich“ zu sagen, kritisiert er. „Ich erwarte noch Bewegung von dem einen oder anderen“, sagt er. Ansonsten werde es zu Neuwahlen kommen. Von einer Minderheitsregierung hält er nichts. Die führe nicht zu stabilen Verhältnissen, sondern zu mehr Verdruss unter den Wählern. Allerdings glaubt Hennrich nicht, dass Neuwahlen die Probleme lösen könnten. Die Verhältnisse würden sich nicht ändern.

Für den Grünen-Abgeordneten Matthias Gastel, bei den Verhandlungen für die Verkehrspolitik zuständig, ist die Sache klar: „Die FDP stiehlt sich aus der Verantwortung“, schreibt er und vermutet, dass die Freien Demokraten die Inszenierung von langer Hand geplant haben. „Ein Jamaika-Bündnis war für keinen der Beteiligten die Wunschkonstellation. Wir Grüne haben uns dennoch sehr ernsthaft auf die Gespräche eingelassen. Wir haben bis zur letzten Minute daran gearbeitet, dass es zu einer stabilen Regierung kommt. Dafür haben wir mit Kompromissangeboten in der Energie-, Verkehrs- und Flüchtlingspolitik Bewegung in die Gespräche gebracht. Eine Einigung bei diesen Themen wäre schwierig, vermutlich aber möglich gewesen.“ Gastels Meinung nach scheiterten die Verhandlungen an der FDP: „Der FDP hatten von Anfang an die Ernsthaftigkeit und der gute Wille zu einem Gelingen gefehlt. Aus meiner Sicht sind rasche Neuwahlen nun unausweichlich. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich daraus handlungsfähige Mehrheiten ergeben werden. Denn die Menschen in Deutschland wissen nun, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und wer nicht.“

Der neue Nürtinger SPD-Abgeordnete Nils Schmid sieht die Schuld ebenfalls klar bei Lindners Liberalen. Die hätten trotz großer Stimmzuwächse die Gespräche kalkuliert platzen lassen, obwohl sie im Wahlkampf mit dem Slogan „Nichtstun ist Machtmissbrauch“ geworben hätten. Damit hätten sie „jedwedes Vertrauen verspielt“, urteilt er. Schuld am Scheitern trage aber auch Angela Merkels Politikstil. Sie hätte nicht nur moderieren dürfen, sondern hätte mit klaren Inhalten und Positionen die Parteien zueinanderführen müssen. Ein Machtvakuum könne sich Deutschland auch als globale Wirtschaftskraft und stärkstes EU-Land nicht erlauben.

Da die Große Koalition klar abgewählt worden sei, sagt Schmid: „Die SPD wird auch weiterhin nicht für eine solche Koalition zur Verfügung stehen.“ Die beiden Parteien mit den größten Verlusten dürften nicht regieren, die AfD dürfe nicht am Ende als stärkste Oppositionspartei den Bundestag als Bühne für ihre Agitation nützen können.

Und wie soll’s weitergehen? „Die SPD scheut sich nicht vor Neuwahlen“, betont Schmid. Aber weder Neuwahlen noch eine Große Koalition wären gut für das Land und die Demokratie, glaubt er. Auch im Ausland wäre es nicht vermittelbar, wenn Deutschland keine funktionierende Regierung bilden könne.