Nürtinger Zeitung

Jetzt wird an der Uhr gedreht

Jetzt wird an der Uhr gedreht

28.10.2017, VON BARBARA GOSSON —

Was die Zeitumstellung mit uns macht und warum sie keiner abschafft

Heute Nacht findet wieder die allseits unbeliebte Zeitumstellung mit all ihren Folgen statt. Sie markiert das endgültige Ende des Sommers, wenn es abends eine Stunde früher dunkel wird. Die Zeitumstellung schlägt vielen Menschen aufs Gemüt, aber das ist nicht der einzige Aspekt, der damit zusammenhängt.

Die Geschichte der Zeitumstellungen ist lang: das erste Mal wurden die Uhren in Deutschland im Jahr 1916 umgestellt. Von 1919 bis 1939 gab es keine Zeitumstellung. In den Jahren darauf herrschte allgemein und auch in Fragen der Sommer- und Winterzeit völliges Chaos und nach 1945 je nach Zone eine andere Regelung. Zwischen 1950 und 1979 gab es in Deutschland keine Sommerzeit. Ab 1980 wurde sie wieder eingeführt und seitdem scheiden sich die Geister daran. Nun prüft die EU-Kommission ihre Abschaffung.

Viele Menschen genießen, dass es im Sommer fast bis 22 Uhr hell ist. Der Vorteil an der Winterzeit ist, dass es morgens früher Tag wird. Je nach Präferenz schätzen die Menschen das eine oder das andere mehr. Was sich allerdings nicht bewahrheitet hat, ist die erhoffte Energieersparnis. Laut dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag verändert sich der Energieverbrauch maximal um ein Prozent. Die Auswirkungen auf die Menschen sind da etwas stärker.

Dr. Siegmund Golks, Leitender Oberarzt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie bei der Medius-Klinik Kirchheim beschreibt, was die Zeitumstellung mit den Menschen macht. Er schickt voraus: „Im klinischen Alltag ist das nicht relevant.“ Golks zitiert aus einem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Demzufolge ist die wissenschaftliche Datenlage sehr gering, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass die Zeitumstellung mit Leiden wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlafstörungen zusammenhängt. „Bei vielen Menschen treten Symptome wie Unkonzentriertheit, Reizbarkeit oder Schlafstörungen auf. Das bleibt aber im Bereich der Befindlichkeitsstörungen“, so der Psychiater. Eine Depression sei es noch lange nicht, wenn die früher einsetzende Dunkelheit auf die Stimmung drückt. „Als Lebewesen reagieren wir intensiv auf Licht“, sagt Golks. Wie intensiv ist von Mensch zu Mensch verschieden.

Ist die Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt, gibt es keinen Grund, einen Arzt aufzusuchen. Golks rät dazu, bei Spaziergängen so viel Tageslicht wie möglich zu tanken. Erst, wenn Symptome wie Antriebsschwäche, Grübeln, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit länger als zwei Wochen anhalten, sei ärztlicher Rat gefragt. Aber auch auf anderer Ebene hat Golks mit der Zeitumstellung zu tun.

Das Krankenhaus ist einer der Betriebe, in dem von Samstag auf Sonntag gearbeitet wird. Geschäftsführer Norbert Nadler berichtet, dass die Nachtschicht in der Regel einfach eine Stunde länger arbeitet, die vergütet wird. Nach Möglichkeit sollen die gleichen Leute im Frühjahr ebenfalls zur Zeitumstellung arbeiten, damit es einen Ausgleich gibt. Zwingend ist das nicht, sondern bleibt den Abteilungen überlassen. In manchen arbeitet die Spätschicht ein wenig länger und die Frühschicht kommt eine halbe Stunde früher. Die Abrechnung verläuft über die elektronische Zeiterfassung. Zu beachten ist für das Pflegepersonal auch, dass nichts bei stündlichen Messungen oder Medikamentengaben durcheinander gerät. Dabei hilft die Technik: „Eigentlich ist alles Routine“, sagt Nadler.

Routine ist es auch bei der Bahn, obwohl sie deutschlandweit 120 000 Uhren um eine Stunde zurückstellen muss. Die Pressestelle informiert: „Taktgeber ist das Funksignal der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Dieses Signal wird bei der DB von autark arbeitenden Funkuhren sowie von 2500 ,Mutteruhren‘ aufgenommen und von dort an alle anderen Uhren weitergegeben. Die Anpassung aller Uhren dauert etwa eine Stunde. An mehr als 3900 kleinen und mittleren Bahnhöfen sind bundesweit über 6600 Dynamische Schriftanzeiger (DSA) installiert. Sie zeigen die Uhrzeit an und informieren in Echtzeit über Fahrplanabweichungen. Die Zeitumstellung bei den DSA erfolgt wie bei vielen Mobiltelefonen und Computern automatisch.

Die in der Nacht verkehrenden elf Fernverkehrszüge werden an einem geeigneten Bahnhof entlang der Reisestrecke angehalten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Züge morgens nicht eine Stunde zu früh ankommen. S-Bahnen, die auch nachts verkehren, fahren in der „doppelten Stunde“ zweimal.

Die Tiere wissen nicht, dass die Uhren jetzt anders gehen

Die Tiere wissen nicht, dass jemand an der Uhr gedreht hat. Das bedeutet, dass Haustiere eine Stunde früher ihr Recht einfordern. Gleiches gilt auch für Nutztiere, so Dr. Reinhold Klaiber, Leiter des Esslinger Landwirtschaftsamtes. Hühner und Schweine sind da nicht anders als Hunde und Katzen und werden jeden Tag ein wenig länger vertröstet. Bei Pferden und Kühen sei es nicht so tragisch, diese brauchen ohnehin ständig Heu zur Verfügung. Bei Kühen gibt es noch einen anderen Aspekt: Ihnen schmerzt das Euter, wenn sie nicht pünktlich gemolken werden. Darum hört man sie in den Tagen nach der Zeitumstellung bisweilen laut muhen. Also werden sie langsam an die neue Zeit gewöhnt und jeden Tag zehn Minuten später gemolken. Das Problem fällt weg, wenn es im Stall einen Melkroboter gibt. In diese Vorrichtung geht die Kuh alleine hinein und „erleichtert“ sich, wann es ihr danach ist.

Eine Woche brauchen auch die Kinder, bis sie sich an die neue Zeitrechnung gewöhnt haben. Schüler haben es gut: Ab Montag sind Herbstferien und ab Montag, 6. November, müssen sich die Kinder wie nach allen anderen Ferien auch, wieder an das frühere Aufstehen gewöhnen. Anders ist es bei den Kindertagesstätten, die haben in der kommenden Woche geöffnet. Aus dem Nürtinger Kinderhaus am Neckar, wo Kinder zwischen einem und sechs Jahren betreut werden, ist zu hören, dass die Zeitumstellung den Kindern mehr zu schaffen macht, je jünger sie sind. Bei der herbstlichen Zeitumstellung, wo die Kinder eine Stunde länger schlafen können, falle die Umstellung leichter als im Frühjahr, wo sie eine Stunde früher aufstehen müssen, um morgens um 7 in der Kita zu sein. Ausgleich bietet der Mittagsschlaf, so die Auskunft einer Erzieherin.

Die Zeitumstellung ist unbeliebt und das, was man sich ursprünglich davon versprochen hat, ist nicht eingetreten. Immerhin prüft die EU-Kommission nun, ob die Sommerzeit abgeschafft werden soll. Der Wahlkreis Nürtingen wird von Abgeordneten der CDU, SPD, Grünen und FDP im Bundestag vertreten. Unsere Zeitung fragte sie alle nach ihrer Meinung zur Zeitumstellung.

Michael Hennrich, CDU sagt: „Dieses Thema muss auf europäischer Ebene innerhalb der Zeitzone geregelt werden.“ Doch da habe es in den vergangenen Monaten drängendere Probleme gegeben. Die CDU hat 2014 den Beschluss gefasst, sich auf europäischer Ebene für die Abschaffung der Sommerzeit einzusetzen. Persönlich kann Hennrich mit allem leben.

Dafür sieht Matthias Gastel (Grüne) keinerlei Veranlassung: „Man kann sich über die Zeitumstellung streiten, muss es aber nicht: Sie bringt nicht viel und schadet kaum. Ich sehe keinen zwingenden Änderungsbedarf und freue mich, dass es morgens früher hell wird.“

Ganz anders die Meinung des künftigen Koalitionspartners FDP. Die neue Abgeordnete Renata Alt schreibt: „Die FDP setzt sich seit Jahren dafür ein, dass der halbjährliche Wechsel beseitigt wird. Insbesondere Familien mit kleinen Kindern, Landwirte und Tierhalter trifft die Zeitumstellung. Auch Schüler sind in den ersten Wochen nach der Zeitumstellung Studien zufolge unkonzentrierter. Die Zeitumstellung hat sich nicht bewährt und sollte endlich abgeschafft werden.“

Vom Abgeordneten Nils Schmid (SPD) kam leider keine Antwort bis Redaktionsschluss.