Nürtinger Zeitung

Wahl@Web

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04.09.2017, —

Wahlkampf ohne Twitter oder Facebook? Geht gar nicht mehr. Darum soll ganz im Sinne des crossmedialen Denkens in dieser Printkolumne den Kandidaten auf den Hashtag geschaut werden. Der Hashtag ist eine Art Schlagwort. Versieht man ein Wort mit dem Vorzeichen „#“, können alle anderen Beiträge, die ebenfalls so markiert wurden, gefunden werden. Der Hashtag der Stunde, drei Wochen vor der Bundestagswahl: #btw17.

Wie präsentieren sich die Kandidaten der Wahlkreise in den sozialen Netzwerken? Ganz ohne geht es auf jeden Fall gar nicht mehr. Die Homepage ist schon lange Standard, denn dort kann man ungestört und in beliebiger Länge zu jedem Thema Stellung beziehen, die bösen Redaktionen drucken ja nicht alles ab. Damit das nicht völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht – Hand aufs Herz, wer schaut schon regelmäßig auf die Politiker-Seiten? – wird fleißig auf Twitter und Facebook über die jeweiligen Aktivitäten informiert. Und wir werden unsere Leser in den kommenden Wochen in einer lockeren Auswahl darüber darüber informieren, was da steht.

Michael Hennrich von der CDU berichtet nicht nur davon, wie er in Kirchheim von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe besucht wurde, sondern hat auch einen Wunsch: Da es immer wieder vorkommt, dass Wahlplakate beschmiert werden, sollte das wenigstens auf künstlerische Art und Weise geschehen. So wie bei einem CSU-Plakat, das Hennrich teilt. Darauf ist der Kandidat Volker Ullrich zum Pop-Art-Kunstwerk mit langen blonden Haaren und großem Goldohrring geworden.

Sein CDU-Kollege Markus Grübel aus dem Wahlkreis Esslingen verpasst es auch nicht (oder lässt es nicht verpassen, für so etwas sind Mitarbeiter zuständig), in Wort und Bild seine Aktivitäten zu dokumentieren. Ob es Redaktionsbesuche sind, auf dem Bauernhof oder auf dem Vinzenzifest – wer dem Staatssekretär im Verteidigungsministerium Grübel auf Facebook folgt, folgt ihm auf Schritt und Tritt.

Eigentlich sind fast alle Kandidaten fleißige Chronisten des eigenen Wahlkampfes. Im Zeichen der totalen Transparenz gehört es zu einem anständigen Facebook-Auftritt, täglich einen Tätigkeitsnachweis in Form von Bildern, Links oder Ankündigungen zu erbringen. Ob Infostand, Betriebsbesuch oder Kneipentour, alles geht den Kandidaten ins Netz. Schaut man jedoch, wer folgt und likt, stößt man auf ein beinahe geschlossenes System: Innerhalb der Partei likt jeder jeden und produziert so Reichweite und Relevanz.

Nils Schmid ist nach vielen Jahren im baden-württembergischen Landtag natürlich Wahlkampfprofi. Auf seiner Seite wimmelt es von Links, Hashtags und Videos. Und natürlich Berichten aus der Nürtinger Zeitung, zum Beispiel über den Besuch von Arbeitsministerin Andrea Nahles in der Redaktion. Er hat für sich den Hashtag #ideenschmid erfunden (oder erfinden lassen), den er fleißig nutzt.

Einen eigenen Hashtag hat auch die Esslinger Kollegin Regina Rapp. Sie nutzt #esRAPPelt. So richtig viel Zuspruch bekam sie jedoch nicht für politische Debatten, sondern als sie Familien, die sich keinen Urlaub leisten können, in den Esslinger Zoo Nymphea einlud. Da schrieben viele gerne ihr Lieblingstier in die Kommentare und konnten einen schönen Tag verbringen. Ob sie dann auch alle fleißig SPD wählen?

Die FDP, namentlich Renata Alt, die gute Chancen hat, Nürtingen künftig im Bundestag zu vertreten, und der eher chancenlose Sven Kobbelt aus Esslingen sparen auch nicht an Hashtags. Zu erwähnen sei hier das etwas sperrige #am24septemberfdpwählen. Fiel bei der Bundestagswahl 2013 der Social-Media-Auftritt der FDP-Kandidaten noch ein wenig spartanisch aus, muss dieses Jahr alles sitzen. Möchte man doch nicht Spitzenkandidat und Teilzeit-Model Christian Lindner Lügen strafen. Der würde nämlich gerne die „Piraten“ in Sachen der Netzkompetenz beerben und wirbt mit „Die Digitalisierung ändert alles, wann ändert sich die Politik?“.

Wie sieht es bei den Grünen im Neuland aus? Matthias Gastel, Abgeordneter und Kandidat für Nürtingen, ist schon länger für sein Bahn-Tagebuch bekannt. Bahnpolitik bestimmt auch seine Beiträge auf Facebook und Twitter – unter denen sich nirgendwo der Hashtag #schönwiederistderblödezugzuspätdran findet. Auch bei der Esslinger Kollegin Stephanie Reinhold spart man an den Hashtags, nicht aber an vielen Bildern von Auftritten.

Stephan Köthe von der AfD Esslingen benutzt sein Facebook-Profil ohne Bild alleine dazu, um die Besucher auf seine ziemlich handgestrickte Homepage zu geleiten. Auch Vera Kosova, die Nürtinger AfD-Kandidatin, hat keine eigene Facebook-Seite. Wer sich auf Facebook über ihre Aktivitäten informieren möchte, ist auf die Seite des AfD-Kreisverbandes Esslingen angewiesen. Wer dort Beiträge einstellt, ist leider nicht ersichtlich. Auch Twitter: Fehlanzeige. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die eine ist nett für die AfD, die andere weniger. Die erste: Die aufstrebende junge Partei hat eben noch nicht die Infrastruktur der Großen. Die zweite: Man möchte nicht, dass die Kandidaten auf Twitter oder Facebook mal eben einen Knaller raushauen. Das macht die Parteispitze dann ganz konzertiert.

Einen richtig professionell gemachten Webauftritt hat auch die Linke nicht. Heinrich Brinker und Martin Auerbach teilen und teilen aus: Ob AfD, SPD oder CDU, alle müssen in ihren vereinfachten Beiträgen dran glauben. Zum Beispiel teilt Heinrich Brinker einen Klassiker der Wahlfotografie: Ein Plakat, in dem ein Kasperltheater angekündigt wird und darunter ein Wahlplakat von SPD-Kandidat Martin Schulz. Oder ein Grünen-Plakat mit der Aufschrift „Wir sind auf dem richtigen Weg“ am Wegweiser zum Friedhof.

bg@ntz.de, @barbara_gosson, #nürtingerzeitung