Nürtinger Zeitung

Bürgermeister fordern mehr Förderung

Bürgermeister fordern mehr Förderung

30.08.2017, VON LUTZ SELLE —

Beim Ausbau des Breitbandnetzes wird von Innenminister Thomas Strobl eine noch größere Unterstützung gewünscht

Wie wichtig die Breitbandversorgung ist, das ist am Montagabend bei einer vom Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich auf dem Gelände der Stadtwerke Nürtingen organisierten Veranstaltung überdeutlich geworden. Zu Gast war mit Innenminister Thomas Strobl der für die Digitalisierung zuständige Vertreter der Landesregierung.

NÜRTINGEN. Neben dem Landesvorsitzender der CDU in Baden-Württemberg und stellvertretenden Ministerpräsidenten hatte Michael Hennrich rund 20 Bürgermeister und Unternehmer aus der Region zur Diskussion eingeladen. Und die nutzten die Gelegenheit, um dem Minister klar zu machen, dass die Geschwindigkeit beim Ausbau des Glasfasernetzes für ein schnelles Internet deutlich erhöht werden muss. Schon Michael Hennrich machte in einleitenden Worten klar: „Es gibt Nachrüstungsbedarf in etlichen Gemeinden und Städten.“

Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich betonte, dass er als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke schon immer „sehr viel Wert auf den Ausbau des Breitbandnetzes der Stadt gelegt“ habe. „Aber was können wir, zumal wir schon aus eigener Kraft viel getan haben, noch für Förderung erwarten?“, fragte Heirich den Landesminister und forderte einen „Masterplan“ ein mit dem Ziel, dass Baden-Württemberg in fünf Jahren komplett digitalisiert ist. „Derzeit wird überall herumgedoktert. Es sollte etwas aus einem Guss entstehen.“ Ansonsten werde Deutschland international bald den Anschluss verlieren.

Die Stadtwerke würden sich schon seit 1999 um den Aufbau des Glasfasernetzes  kümmern, erzählte Geschäftsführer Volkmar Klaußer. Inzwischen seien in Nürtingen bereits acht Prozent der Haushalte erschlossen. Durch das Vectoring, eine von der Telekom derzeit angewendete Technik, um trotz alter Kupferkabel die Internetgeschwindigkeit erhöhen zu können, gebe es nun keine Förderung mehr. „Durch die alte Technik wird die neue behindert“, kritisiert Klaußer. Beim Glasfaseranschluss werde Deutschland insgesamt in drei Jahren noch immer unter fünf Prozent liegen. Dabei werde das benötigte Datenvolumen schon in Kürze enorm ansteigen.

Innenminister Thomas Strobl lobte die Aktivitäten der Stadt Nürtingen: „Sie sind auf dem richtigen Weg. Schon in einigen Jahren wird es für die Glasfasertechnologie keine Alternative mehr geben.“ Das schnelle Internet sei vor allem für Schulen und Gewerbebetriebe wichtig. „Aber der Ausbau ist zunächst die Aufgabe der privaten Telekommunikationsunternehmen. Erst dann kommt der Staat“, so Strobl. „Diese Rechtslage macht es uns nicht leichter.“

Die Landesregierung habe dennoch vor wenigen Wochen ihre Digitalisierungsstrategie verabschiedet. Dabei sollen die Investitionen in diesem Bereich auf eine Milliarde Euro erhöht werden. Die Landesregierung habe bereits in den vergangenen sechs Monaten mehr Geld für die digitale Infrastruktur investiert als die Vorgänger in fünf Jahren.

Firmenchefs wählen Standorte nach dem Breitbandanschluss aus

Neben der Infrastruktur will Strobl auch die Datensicherheit verbessern. Dafür plant er eine Cyberwehr, die an sieben Tagen rund um die Uhr mit Notfallteams bei Angriffen über das Internet helfen kann. Auch im Gesundheitsbereich könne die Digitalisierung helfen, wenn zum Beispiel per Handy ein Foto eines Hautflecks zum Facharzt geschickt werde. „Der Arzt kann dann entscheiden, ob der Patient sofort in die Praxis kommen muss, erst in einem halben Jahr oder gar nicht.“

In der anschließenden Diskussionsrunde wünschte sich Frickenhausens Bürgermeister Simon Blessing vom Ministerium eine Vereinfachung der Förderprogramme. Großbettlingens Schultes Martin Fritz stellte fest: „Wir fallen durch alle Förderprogramme durch.“ Er hoffe auf eine Art Refinanzierung, wenn die Gemeinde den Ausbau der Infrastruktur selbst übernehme.

„Wir bewilligen bereits Hunderte von Anträgen“, antwortete Strobl. Einer Familie würde aktuell eine Geschwindigkeit von 50 Megabit ausreichen. „Das geht heute noch, aber in Zukunft nicht mehr.“ In Wolfschlugen gebe es Bereiche, die noch unter 30 Megabit liegen würden, stellte der dortige Bürgermeister Matthias Ruckh fest.

Dr. Horst Gras, Geschäftsführer des Unternehmens Badger Meter, kann in seinem Betrieb in Neuffen sogar nur mit einer Geschwindigkeit von 8,5 Megabit arbeiten. „Damit kann ich nicht leben. Wir brauchen für die Industrie ganz schnell Lösungen.“ Die Gemeinden, die keinen Breitbandanschluss anbieten, würden schon bald keine Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätze mehr haben. Für seine Fertigungsstätte in Tschechien sei ihm bereits für 2018 ein Breitbandanschluss zugesichert worden. „Jetzt ist die Frage: Wo wird zukünftig die Entwicklung der Firma sein? Bleiben die Ingenieure in Neuffen oder gehen sie nach Tschechien?“

Den Wegzug aus dem Landkreis Esslingen hat ein anderer Unternehmer bereits vollzogen. Vor vier Wochen habe er seine Zelte in Kirchheim/Teck abgebrochen und das Produktionswerk der Firma in Zell im Landkreis Göppingen angesiedelt, sagte er. Dort habe die Gemeindeverwaltung zugesagt, die nötige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

Markus Grupp, Wirtschaftsförderer des Landkreises Esslingen, stellte fest, dass „41 Prozent der Betriebe im Landkreis unterversorgt“ seien. Es gebe einen großen Nachholbedarf, weil „viele Fördergelder in den ländlichen Raum geflossen sind“. Thomas Strobl versprach, die Richtlinien zu überarbeiten, damit künftig auch die Ballungsräume mehr zum Zuge kämen.