Erinnerung wachhalten und aktuelle Entwicklungen einordnen
Erinnerung wachhalten und aktuelle Entwicklungen einordnen
27.01.2017, VON ANNELIESE LIEB —
Alle vier Abgeordneten aus den Wahlkreisen Esslingen und Nürtingen nehmen heute an der Gedenkstunde im Bundestag teil
Seit 1996 wird am 27. Januar der Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gedacht. Im Bundestag findet aus diesem Anlass heute eine Gedenkstunde statt. Wir haben bei unseren Bundestagsabgeordneten nachgefragt, ob sie an der Gedenkstunde teilnehmen und welche Bedeutung der Gedenktag für unsere Bundespolitiker beziehungsweise unser Land hat.
Wie wichtig solche Gedenktage sind, um auch aktuelle Entwicklungen einordnen zu können, zeigen die Äußerungen des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke im Rahmen seiner „Dresdner Rede“ vom 17. Januar. Der 44-jährige Geschichtslehrer Höcke hatte unter Anspielung auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin von einem „Denkmal der Schande“ gesprochen. Doch es war längst nicht die erste Aussage des AfD-Rechtsaußen, die seine bedenkliche Gesinnung zum Vorschein kommen lässt.
„Als Mahnung für die Zukunft verstehen“
Staatssekretär Markus Grübel
Der parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, der Esslinger Bundestagsabgeordnete Markus Grübel, nimmt an der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus teil. „Für mich ist wichtig, dass wir die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus aufrechterhalten und diesen dunklen Teil unserer Geschichte nicht vergessen. In Zeiten, in denen Politiker in Deutschland das Berliner Holocaust-Mahnmal als ,Denkmal der Schande‘ bezeichnen, finde ich es umso wichtiger, dass wir im Deutschen Bundestag ein Zeichen setzen und uns verantwortungsvoll zu unserer Geschichte bekennen. Die jungen Menschen in diesem Land tragen nicht die Verantwortung für dieses schreckliche Kapitel unserer Vergangenheit. Es ist aber wichtig, dass wir diesen Teil unserer Geschichte als Mahnung für die Zukunft verstehen.“
„Hätte nie gedacht, dass der Tag wieder solche Aktualität bekommt“
MdB Rainer Arnold
Rainer Arnold, SPD-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Nürtingen, seit 2002 verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, schreibt auf unsere Anfrage: „Für Sozialdemokraten ist es selbstverständlich, den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken. Deshalb nehme ich immer am jährlichen Gedenken des Bundestages teil. Und angesichts der heutigen rechten Hetzer ist diese Besinnung auf Vergangenes wichtiger denn je. ,Wehret den Anfängen!‘, dieser Satz ist für Sozialdemokraten von zentraler Bedeutung. Wir werden es nicht zulassen, dass jetzt wieder Ressentiments und die Abwertung ganzer Gruppen gesellschaftsfähig werden. Zwar bildet sich diese bislang meist ,nur‘ in der Sprache ab. Aber Worte sind Vorboten der Taten! Der 27. Januar enthält daher eine Mahnung, von der ich nicht glaubte, dass sie je wieder von solcher Aktualität sein würde: Überzogener Nationalismus, Egoismus und Rassismus hatten noch immer verheerende Folgen.“
„Jegliche Verharmlosung dieser Verbrechen verbietet sich“
MdB Michael Hennrich
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich nimmt an der Gedenkstunde teil. „Am 27. Januar gedenken wir der Befreiung der nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und ganz besonders daran, wie viel brutale Unmenschlichkeit den wenigen Überlebenden sowie den Ermordeten widerfahren ist. Voll Trauer und Scham gedenken wir der Opfer. Wir werden das Leid, das ihnen in deutschem Namen zugefügt wurde, niemals vergessen. Heute wird uns in besonderer Weise bewusst, dass sich jegliche Relativierung oder Verharmlosung dieser Verbrechen verbietet. Dem treten wir über Parteigrenzen hinweg entgegen. Wenn Extremisten die historische Verantwortung Deutschlands in Frage stellen, setzen wir uns umso mehr für unser Wertefundament aus Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde ein.“ Seit 2002 vertritt der 52-jährige CDU-Politiker die Interessen unserer Region im Bundestag.
„Aus der Vergangenheit lernen und die richtigen Schlüsse weitergeben“
MdB Matthias Gastel
Der Filderstädter Matthias Gastel, seit 2013 Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie bahnpolitischer Sprecher, betont: „Die Teilnahme an der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus ist mir ein Bedürfnis. Den vielen Millionen Opfern des NS-Terrors zu gedenken bleibt wichtig und richtig, auch nach Jahrzehnten. Nur wer sich auch mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte auseinandersetzt, kann aus der Vergangenheit lernen und die richtigen Schlüsse an jüngere Generationen weitergeben. Ich bin froh, dass wir nach den Gräueltaten der NS-Diktatur heute in einer stabilen Demokratie leben und Deutschland gute Verhältnisse zu seinen Nachbarländern pflegt. Die intensive Aufarbeitung der deutschen Geschichte hat hierzu beigetragen und die deutsche Erinnerungskultur erfährt weltweit Anerkennung.“
Die Gedenkstunde im Deutschen Bundestag beginnt heute, Freitag, um 9 Uhr. In diesem Jahr steht sie im Zeichen der Erinnerung an die Opfer der sogenannten Euthanasie-Morde. Nach einer Begrüßungsansprache von Bundestagspräsident Norbert Lammert liest Schauspieler Sebastian Urbanski einen Brief von Ernst Putzki, der 1945 in Hadamar ermordet wurde. Die Gedenkreden halten Verwandte von zwei Opfern der Euthanasie-Morde: Hartmut Traub erinnert an seinen 1941 ermordeten Onkel, Benjamin Traub, und Sigrid Falkenstein berichtet über das Schicksal ihrer Tante, Anna Lehnkering, die 1940 getötet wurde.