Nürtinger Zeitung

Bei den Christdemokraten brodelt’s

Bei den Christdemokraten brodelt’s

19.02.2018, VON PETER DIETRICH —

Heftige Diskussionen beim CDU-Kreisparteitag – Kritik an Koalitionsvertrag und Postenverteilung

Die SPD-Genossen und die Grünen streiten und zerfleischen sich, aber die CDU ist ein braver Abnickverein? Dieses Klischee scheint Geschichte zu sein. Noch nie habe er bei einem CDU-Kreisparteitag derart heftige Diskussionen erlebt, meinte der Teilnehmer Thomas Wust nach der Veranstaltung im Schlachthofbräu in Nürtingen.

NÜRTINGEN. Der Andrang am Freitagabend war so groß, das kurzfristig weitere Stühle herbeigeschafft werden mussten. In der Diskussion über die Einschätzung einer möglichen Großen Koalition (GroKo) traten sehr unterschiedliche Einschätzungen zu Tage. MdB Markus Grübel war als Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz verhindert.

„Mit den Inhalten kann ich einigermaßen gut leben“, fasste der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich seine Einschätzung des Koalitionsvertrages zusammen. Dies sage er sogar gleichzeitig als Landesvorsitzender von Haus & Grund Württemberg. Ja, für Digitalisierung und Schulen werde viel Geld ausgegeben, aber das sei ein Muss. Auch die Ausgaben für Soziales und die Pflege seien gut. Ihre Nachforderungen bei der Härtefallregelung bei Geflüchteten, bei befristeten Arbeitsverhältnissen und der Bürgerversicherung habe die SPD „nicht sonderlich gut durchsetzen können“. Die vielen geplanten Kommissionen kommentierte Hennrich mit dem Sprichwort „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis.“

Mit einem „weinenden Auge“ und „geballter Faust in der Tasche“ betrachte er hingegen die Ressortverteilung. „Man muss das akzeptieren, so schwer es einem fällt. Was wäre die Alternative gewesen? Eine Minderheitenregierung?“ Hennrichs Bemerkung „Wenigstens das Kanzleramt haben wir behalten“ wurde mit Gelächter quittiert.

„Ich hätte Lust auf eine neue Debattenkultur“ Michael Hennrich MdB

Wie die SPD zur GroKo abstimmen werde, könne er noch nicht abschätzen: „Sie wird am Ende ein Mobilisierungsproblem haben. Die Gegner stimmen auf jeden Fall ab.“ Immerhin habe die CSU einstimmig zugestimmt. Bei allen denkbaren Alternativen mahnte Hennrich, die Differenzen zwischen der CDU und den Grünen nicht zu vergessen. Bei Fragen wie dem Familiennachzug, Sicherheit und Recht sei die SPD der einfachere Verhandlungspartner gewesen. Nun hofft Hennrich darauf, schnell stabile Verhältnisse zu bekommen. Die Frage, wie es mit der CDU weitergehe, komme erst anschließend: „Wir wollen nicht am Stuhl von Leuten sägen, die noch verhandeln.“ Angela Merkel solle für vier Jahre Kanzlerin bleiben, doch 2019 könne ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden. „Wir brauchen auch ein neues Grundsatzprogramm.“ Und es müsse wieder parteiintern diskutiert werden: „Ich hätte Lust auf eine neue Debattenkultur.“

Mit dem Koalitionsvertrag gut leben? Das kann Holger Kappel vom Stadtverband Esslingen nicht. Er sieht darin „70 Prozent SDP-Forderungen durchgesetzt“. Mit der Ministerauswahl ist er erst recht nicht einig: „Mit ihren bundesweit acht Prozent hätte die CSU höchstens ein Ministerium bekommen dürfen.“ Auch an der CDU übte er Kritik, von der Leyen habe die Bundeswehr heruntergewirtschaftet. Der Altbacher Gemeinderat Helmut Maschler vermisst in der CDU Führungskraft und Führungswille: „Wo war denn Angela Merkel?“ Der Eindruck in der Bevölkerung sei „70, 80 Prozent SPD“. „Wir haben grundlos unheimlich nachgegeben, um die SPD zu retten.“

Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann beschwichtigte: „Wir glauben, was uns irgendein SPD-Generalsekretär erzählt.“ Kunzmann war am Aschermittwoch bei der CSU in Passau. „Die haben dort den Koalitionsvertrag als 100 Prozent CSU verkauft, und 5000 Leute glauben es.“ Er messe den Koalitionsvertrag am Familiennachzug und den Registrierungszentren. Außerdem: „Man muss dem Koalitionspartner auch etwas gönnen, so wie es Helmut Kohl getan hat.“

Dieter Fichtner aus Wolfschlugen redete der Aufrüstung das Wort, für ihn fehlen im deutschen Verteidigungsetat 25 bis 30 Milliarden Euro. Tim Hauser sieht im Koalitionsvertrag viel Gutes, doch dies seien „nur die 30 Prozent“. Beim Bundesparteitag der CDU am 26. Februar, wolle er als Delegierter „so abstimmen, wie die Basis denkt“.

Thomas Schulte aus Wolfschlugen hat mit großem Aufwand die Begriffe des Koalitionsvertrages analysiert und ein Ranking erstellt. Er sieht Innovation, Wirtschaft und Familie vorne, das soziale Miteinander komme erst an fünfter Stelle. „Dem kann man zustimmen.“ Doch die Umsetzung sei schwammig beschrieben, mit viel „wir wollen“ und „wir befürworten“. „Wir wissen nicht, wie die SPD nach dem Chaos in der Abstimmung entscheiden wird“, mahnte der CDA-Vorsitzende Peter Schuster. Er könne sich auch mit einer schwarz-gelben Minderheitsregierung mit Jens Spahn als Kanzler und Christian Lindner als Finanzminister anfreunden.

„So schlecht sieht es nicht aus“, befand Hans Köhler aus Wendlingen nach intensivem Blick in den Koalitionsvertrag. „Nur den Posten des Finanzministers hätte ich nicht aufgegeben.“ Köhler mahnte aber auch: „Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, das sage ich auch als Schwarzer.“

Trauer um den verlorenen Posten des Finanzministers

Zur verbreiteten Trauer um den Posten des Finanzministers nahm Hennrich Stellung: Bei der Jamaika-Debatte habe die Gefahr bestanden, dass Jürgen Trittin Finanzminister werde. „Da verteidige ich lieber Olaf Scholz, dem ich ein gewisses Vertrauen entgegenbringe.“

Zwei Anträge waren zum CDU-Kreisparteitag eingegangen. Die Frauen- Union will, dass auf den Vorschlagslisten für die Regionalversammlung künftig auf mindestens jedem dritten Platz eine Frau steht. Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann schlug vor, den Antrag an den Kreisvorstand zu verweisen: „Wir werden das Ziel verfolgen.“ Dies fand einhellige Zustimmung.

Für heftige Kontroversen sorgte hingegen der Antrag des Stadtverbands Esslingen am Neckar, federführend von Holger Kappel vorgetragen. Er will Flüchtlingen ohne gültige Papiere, die aus einem sicheren Drittstaat kommen, die Einreise verweigern. Der Antrag, der von „größten Terrorgefahren“ spricht, provozierte den jungen Maximilian Ilzhöfer zu einer heftigen und mutigen Gegenrede gegen „vermeintlich einfache Antworten“. Im Jahr 2017 habe es in Deutschland nur einen Terroranschlag gegeben. Im Jahr zuvor 64, davon 50 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Allein zu Österreich habe Deutschland 801 Grenzkilometer mit 80 Übergängen. Sie seien personell nicht dauerhaft zu sichern, eine Schließung der Grenzen gefährde die Wirtschaft. Stattdessen seien die Schengen-Außengrenzen zu stärken.

Peter Schuster sprach sich für den Antrag aus, Thomas Schüle hielt ihn für unnötig und für eine gefährliche Vorlage für andere Parteien; „Seehofer bekommt das in den Griff.“ Tim Hauser hielt den Antrag ebenfalls für unnötig, aber für ein „gutes Signal“. „Bedenkt, ihr seid doch Christen“, mahnte Georg Adler. „Hätte man die Leute 1989 in Ungarn lassen sollen?“

Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann schlug vor, den Antrag abzuschwächen und nur auf einer konsequenten Anwendung des Grundgesetzes und des Asylrechts zu bestehen. In dieser Form wurde er mehrheitlich angenommen.